[Jugendrezension] Zukunftsrätsel

stewnerDie Zukunft ist eine wirklich spannende Zeit. In dem Buch Der Sommer in dem die Zeit stehen blieb von Tanya Stewner geht es um das Mädchen Juli.
Juli lebt mit ihren stinkreichen Eltern in einem noblen Viertel, außerdem ist sie superschlau und schreibt in der Schule immer Einsen. Davon abgesehen ist ihr Leben sehr unspektakulär, denn Juli und ihre beste und einzige Freundin Whoopie sind ziemliche Nerds und werden deshalb von den anderen ausgeschlossen.
Doch Julis Leben bleibt nicht lange so langweilig. Als sie mal wieder zum Nachdenken auf „ihrer“ Lichtung ist, bekommt sie dort plötzlich Besuch. Ein, wie sie findet, bildhübscher Junge, steht auf einmal neben ihr. Er scheint verwirrt, doch nach einiger Zeit verrät er ihr seinen Namen: Anjano. Doch zu der Frage, wo er herkommt und warum er so anders spricht, sagt er, er dürfe es nicht verraten. Durch Zufall trifft sie ihn wieder und alles wird noch merkwürdiger, denn nur Juli kann mit ihm reden …
Als sie Whoopie etwas von Anjano erzählen will, geschehen so viele komische Dinge, dass Juli bei den Geschehnissen nicht mehr an zufällige Ereignisse glaubt … Kommt Anjano vielleicht aus der Zukunft?
Doch wer Anjano wirklich ist, ob er tatsächlich aus der Zukunft kommt und was es mit den vielen Zufällen auf sich hat, dass musst du schon selbst herausfinden …

Ich finde das Buch Der Sommer in dem die Zeit stehen blieb sehr spannend, denn ich wollte unbedingt wissen, wer Anjano nun wirklich ist, insbesondere auch, da er zwischendurch immer wieder verschwindet. Ich habe die ganze Zeit gespannt darauf gehofft, dass er bald wieder auftaucht.

Meiner Meinung nach passt der Titel Der Sommer in dem die Zeit stehen blieb nicht wirklich zum Inhalt des Buches. Außerdem hatte ich beim Lesen zunächst Schwierigkeiten, mich in die Geschichte einzufinden. Nachdem ich dann aber „in der Handlung angekommen war“, fiel es mir schwer, das Buch wieder wegzulegen.
Ich empfehle das Buch Mädchen zwischen 11 und 15 Jahren, denen spannende und auch ein wenig mystische Geschichten gefallen.

Bücherwurm (13)

Tanya Stewner: Der Sommer, in dem die Zeit stehenblieb, FISCHER KJB, 2. Aufl. 2015, 320 Seiten,  ab 12, 14,99 Euro

Der Abraxas des Lebens

naoEs gibt Lektüren, die mich manchmal etwas ratlos zurücklassen – und mich gleichzeitig ungemein faszinieren, so wie aktuell die Graphic Novel Das NAO in Brown von Glyn Dillon.

Erzählt wird die Geschichte der Mittzwanzigerin Nao Brown. Nao ist Halbjapanerin, lebt in London und zeichnet Spielzeug. So weit, so normal – möchte man meinen, doch Nao hat Ticks und sonderbare Vorstellungen, in denen sie Menschen aus ihrer Umwelt schlimme Sachen antun will. Nur die Erinnerung an die Liebe ihrer Mutter und das Buddhistische Zentrum scheinen ihr Ruhe zu geben.
Nao tritt einen neuen Job in einem Design-Spielzeugladen für Nerds an. Dort begegnet ihr eines Tages ein bärtiger Waschmaschinenmechaniker, der sie an eine japanische Anime-Figur erinnert. Nao ist fasziniert, fühlt sich zu dem philosophierenden Mann hingezogen, ohne zu merken, dass auch er Abgründe in sich trägt.

Die wichtigste Farbe in dieser Graphic Novel ist Rot. Nao trägt immer irgendetwas Rotes. Wenn ihre Angst durchbricht, färben sich die Panels rot. Rot als vielleicht symbolträchtigste Farbe für das Leben, für Liebe, für Leidenschaft, für Blut, Wut, Gewalt. In zarten Aquarellen entfaltet Glyn Dillon das Mysterium des Lebens, in dem es nicht nur weiß oder schwarz gibt, in dem Gut ohne Böse nicht existieren kann. Nicht alles ist, wie man es sich vorstellt oder wünscht. Und manchmal kann sogar ein Unfall helfen, Ängste zu überwinden.
Eingebettet in Naos Geschichte ist ein weiterer Comic über die sehr rätselhafte Mensch-Baum-Figur Pictor, der in den Krieg zieht. Hier bleibt offen, ob es sich dabei um eine Fantasie von Nao handelt, um ihre Träume, um ein Märchen. Das muss jeder Leser selbst entscheiden.

Das Hardcover ist wunderschön ausgestattet: Komplett weißer Einband, der Titel auf dem Buchrücken ist eingeprägt, nur das japanische Zeichen für Nichts prangt vorne auf dem Cover, ebenfalls geprägt. Der Buchschnitt ist in Nao-Rot gehalten. Der Schutzumschlag ist auf der Innenseite mit einer fiktiven Karte von Everywhere/Nowhere gestaltet. Buddhisten und Japankenner werden darin sicherlich eine Reihe von Anspielungen finden. Für Nicht-Experten wie mich ist es ein schönes Suchspiel nach bekannten philosophischen Konzepten und Haltungen zum Leben.

Das NAO in Brown ist so mysteriös wie das Leben selbst. Ein Abraxas voller Kraft, Dauer und Wandel. Nicht alles versteht man, vieles fesselt einen, manches liebt man. Nicht alles läuft so, wie man es gerne hätte, Ängste gehören dazu, können aber überwunden werden. Wenn man es will. Und Das NAO in Brown will man nach dem ersten Durchgang gleich noch mal lesen – um alle die Geheimnisse darin noch besser zu ergründen.

Glyn Dillon: Das NAO in Brown, Übersetzung: Volker Zimmermann,  Egmont Graphic Novel, 2014,  208 Seiten, 29,99 Euro

[Jugendrezension] Der Tunnel lässt uns nicht fort

klammrothIn dem Roman Klammroth von Isa Grimm sterben durch ein tragisches Unglück viele Kinder. Busse sind in einem Tunnel ineinander gefahren, ein Feuer lodert auf. Die Überlebenden tragen schwere Brandnarben davon, die nie wirklich aufhören zu schmerzen.
Anais ist eine der Überlebenden, und zwar diejenige, die am wenigsten abbekommen hat. Deswegen schauen sie viele Leute, die schwer verletzt wurden, argwöhnisch an. Sofort nach dem Unfall verlässt sie den Ort Klammroth, wo das Unglück passiert ist, und geht in ein Internat.
17 Jahre später kommt sie nach Klammroth zurück, weil ihre Stiefmutter Theodora bei einem Brand ums Leben kam.
Theodora hatte nach dem Unfall eine Klinik für die Brandopfer eingerichtet. Fast alle wurden dort behandelt, doch irgendetwas stimmt mit der Klinik nicht.
Genauso auch mit dem Tunnel, der nach dem Unglück verbarrikadiert wurde. Anais‘ Vater, der pflegebedürftig in einem Heim lebt, ruft Anais nachts an und erzählt ihr von schwarzen Gestalten vor seinem Fenster, die bei Licht wieder verschwinden. Merkwürdig ist nur, dass er nie spricht, wenn Anais ihn besucht. In der kurzen Zeit, in der Anais in Klammroth ist, geschehen viele seltsame Sachen. Nach und nach kommt sie hinter die Geheimnisse der Klinik.

Der Einstieg in das Buch ist fantastisch. Danach passiert erst nicht so viel, doch auf einmal steigt die Spannung immer mehr an und hält sich bis zum Schluss. Isa Grimm schreibt sehr detailliert, so dass alles noch viel gruseliger und spannender wirkt.

Das Buch hat viele Wendungen, und es gibt Sachen, die man sich nicht vorstellen kann. Auch das Ende des Buches ist seltsam, doch wenn  man darüber nachdenkt, eigentlich passend. Insgesamt finde ich das Buch sehr gut und würde es auf jeden Fall weiterempfehlen.

Laura (14)

Isa Grimm: Klammroth, Lübbe, 2014, 335 Seiten, 14,99 Euro

 

Die Leere in uns

lukas jüligerIch habe ein neues Lieblingswort: Mitnehmbrote. Es steht im ersten Satz der Graphic Novel Vakuum von Lukas Jüliger. Damit hatte er mich. Anfangs dachte ich allerdings, ich würde mir den Abend mit einer netten Teenager-Liebesromanze versüßen. Ich hätte mich nicht mehr täuschen können und hätte nicht mehr überrascht und beeindruckt werden können als von dieser Story.

In melancholisch-gedämpten Pastelltönen und zarten Schraffuren erzählt Lukas Jüliger die Geschichte von drei Jugendlichen auf der Schwelle zum Erwachsenenwerden. Der Protagonist, ein namenloser Ich-Erzähler mit Paul-Weller-Gedächtnisfrisur, hält sich für den langweiligsten Menschen der Welt. Er hängt die meisten Zeit mit seinem Freund Sho herum. Der jedoch ist nach dem Rauchen einer Psycho-Pflanze in tiefste Depressionen verfallen. Er spricht kaum noch, liegt nur in der Gegend herum oder zerstört und verbrennt seine Sachen. Der Protagonist schaffte es nicht, ihn aus seiner Erstarrung zu holen.
Eines Tages spricht Sie, eine namenlose Mitschülerin, den Jungen an, und im Laufe einer Woche, in der der Sommer zu Höchstform aufläuft, verliebt er sich rettungslos in ihren Duft, erlebt die Liebe und schöpft Hoffnung, das langweilige Leben in der Kleinstadt hinter sich lassen zu können.
Doch dann passieren schreckliche Dinge: Das angesagteste Hip-Mädchen der Stadt wird von einem Mitschüler vergewaltigt. Der begeht hinterher in einem Getreidefeld Selbstmord. Der Protagonist und Sie gehen zusammen mit anderen Jugendlichen heimlich ins Leichenschauhaus, machen Handy-Fotos von dem obduzierten Jungen, besichtigen den Tatort und treffen dort auf den geschockten und ideologisierten Bruder des Selbstmörders, der den beiden den Weltuntergang prophezeit.
Während all dieser an sich schon deprimierenden Geschehnisse, stellt Sie den Protagonisten immer wieder auf eine harte Probe. Nach gemeinsam verbrachten Stunden am Abend verschwindet Sie immer wieder. Zunächst sagt Sie ihm nicht, wohin Sie geht. Irgendwann folgt er ihr. Sie zeigt ihm ihr Geheimnis, das sich unter einem alten Wohnwagen in einer Erdhöhle befindet: eine mysteriöse, surreale Körperöffnung von einem nicht näher erkennbaren Wesen. Dort legt Sie sich zwei Mal am Tag hin und verspürt tiefstes Glück. Ein Glück, das abhängig macht. Er probiert es aus und verfällt ihm ebenfalls.
Der Protagonist schöpft Hoffnung, dass dieses beglückende Etwas Sho aus seiner Depression holen kann. Doch statt der Heilung, überkommt Sho eine brutale Aggressivität, und er meuchelt das Wesen. Danach fällt er im Haus des Protagonisten wieder in katatonische Starre. Eine Erlösung gibt es für ihn nicht. Und auch nicht für die beiden Verliebten, die sich in dieser merkwürdigen Nacht leidenschaftlichem Sex hingeben. Denn am nächsten Morgen taucht der Bruder des toten Mitschülers mit einer Pistole in der Schule auf.

Das ist, zugegebenermaßen, alles sehr harter Stoff und sicher nicht für jeden geeignet. So eine düstere und hoffnungslose Darstellung der aktuellen Gefühlswelt der Jugend habe ich eigentlich noch nie gelesen. Die Lage der drei Hauptfiguren ist aussichtslos, selbst die Liebe spendet keinen Trost mehr. Als Leser gerät man in einen Sog aus Mitgefühl für die Jugendlichen, die in spießigen Normalo-Familien groß werden, Hoffnung, sie mögen gemeinsam einen Ausweg aus der Leere finden, und Faszination für dieses mysteriöse Etwas im Erdloch.
Dieses Etwas, das einem Anus gleicht, wirft jede Menge Fragen auf, die nicht zu lösen sind. Ketzerisch könnte man vermuten, dass hier eine bildliche Umsetzung des Ausdrucks von „voll am A**** sein“ auf eine skurrile Spitze getrieben werden sollte. Denn diese Etwas ist der Ort, wo sich der Protagonist und Sie am glücklichsten fühlen. Die Welt draußen kann da nicht mithalten. Und das ist eine verdammt bittere Absage an die Realität.

In Vakuum erzählt Jüliger von der Leere in uns und in der Gesellschaft. Die dick schwarz umrandeten Panels tragen Trauer und übertragen das Gefühl der Leere direkt auf den Leser. Man fragt sich unweigerlich: Was ist das Leben? Eine Antwort darauf erhält man hier nicht, die muss sich eh jeder selbst suchen. Aber man bekommt quasi einen Tritt in den Allerwertesten, den nachfolgenden Generationen mehr „Mitnehmbrote“ zu machen, die für Aufmerksamkeit, Zugewandheit, Fürsorge und ein erfülltes Leben stehen.

Was neben der heftigen Story richtig Freude macht, ist die grafische Umsetzung: Jüliger versteht es vorzüglich, die Gesten und den Habitus der Jugendlichen darzustellen. Köstlich, wie die Girlies Handys und Handtaschen umkrallen. Die zarte Annäherung der beiden Liebenden ist wunderschön anzusehen und geht richtig ans Herz. Die Schraffuren entwickeln einen Sog und eine schräge Dynamik, die in manchen Panels an Edvard Munch erinnern. Dann möchte man schreien – gegen all diese Leere.

Die surreale Verwirrung in dieser Geschichte ist grandios, aber genau darin liegt die Grandezza dieses fantastischen Comic-Debüts von Lukas Jüliger. Bleibt nur, sich mehr von solchen im Besten Sinne anstößigen und aufrüttelnden Geschichten zu wünschen.

Lukas Jüliger: Vakuum, Reprodukt, 2013, 112 Seiten, ab 18, 20,00 Euro