[Jugendrezension] Auf sich allein gestellt

51GLLObZWlL._SX323_BO1,204,203,200_Wie groß der Aufgabenberg einer Mutter ist, bemerkt man meist zu spät. Die 17-jährige Lucille aus Gegen das Glück hat das Schicksal keine Chance von Estelle Laure bekommt dies auf eine sehr harte Art und Weise zu spüren, als ihre Mutter sie, mit der Erklärung, sie bräuchte eine Pause, verlässt.

Nun muss sie mit dem bisschen Bargeld, das ihre Mutter dagelassen hat, um Kleidung und Essen zu kaufen, zurechtkommen. Außerdem muss sie sich um ihre kleine Schwester Wren kümmern. Da Lucille nicht von ihrer Schwester getrennt werden möchte, darf niemand vom Verschwinden ihrer Mutter erfahren.

Nur ihre beste Freundin Eden und deren Zwillingsbruder Digby, in den sich Lucille blöderweise auch noch Hals über Kopf verliebt hat, helfen ihr, ihre wachsenden Probleme zu bewältigen. Das Geld wird weniger, aber Wren braucht neue Kleidung, die Rechnungen müssen bezahlt werden und von Lucilles Mutter ist nichts zu hören.

Wird Lucille das notwendige Geld beschaffen können? Und was ist mit Digby, der ja leider bereits eine Freundin hat? Aber vor allem, kommt Lucilles Mutter zurück?

Mir persönlich hat das Buch ganz gut gefallen, obwohl es aufgrund des etwas schwierigen Schreibstils nicht ganz einfach ist, hineinzufinden. An dem Hauptcharakter Lucille kann sich wahrscheinlich jeder ein Beispiel nehmen, weshalb ich finde, dass das Buch auf eine gewisse Weise auch ein bisschen lehrreich ist. Nicht so gut hat mir der Titel gefallen, der meiner Meinung nach überhaupt nicht zum Buch passt.
Empfehlen würde ich das Buch für Mädchen ab ca. 12 Jahren.

Bücherwurm (14)

Estelle Laure: Gegen das Glück hat das Schicksal keine Chance, Übersetzung: Sophie Zeitz, Fischer Verlag, 2016, 256 Seiten, ab 14, 14,99 Euro

Unantastbar

einsMenschen, die körperlich nicht den vermeintlichen Normen entsprechen, lösen oftmals ein voyeuristisches Bedürfnis bei uns allen aus. Man möchte schauen, vergleichen, sich abgrenzen, sich möglicherweise besser oder überlegen fühlen. Eine Geschichte, die solche Bedürfnisse auslösen könnte, hat jetzt die Britin Sarah Crossan vorgelegt. In Eins erzählt sie von den siamesischen Zwillingen Grace und Tippi.

In der Erwachsenen-Belletristik gibt es einige Romane zu diesem Thema, doch für Jugendliche ist es meines Erachtens das erste Buch, das sich mit der Lebenswelt von siamesischen Zwillingen befasst (korrigiert mich, wenn ich falsch liege). Crossan schildert die beiden 16-jährigen Mädchen als ziemlich normale Persönlichkeiten, obwohl sie an der Hüfte zusammengewachsen sind. Jede der beiden hat ihren eigenen Kopf, ihre eigenen Vorstellungen. Und sie haben eine Familie, die wie viele andere auch mit Problemen wie Arbeitslosigkeit, Alkohol- und Magersucht zu kämpfen hat. Jedes dieser Probleme ist an sich schon harter Tobak.

Wie schon in Crossans Werk Die Sprache des Wassers erzählt die Autorin die Geschichte in freien, also ungereimten Versen, erneut von Cordula Setsmann in geschmeidiges Deutsch gebracht. Jedes Wort bekommt durch die typografische Setzung, die die Worte manchmal kaskadenartig verschiebt, ein zusätzliches Gewicht. Und bleibt trotz der Schwere der Thematik ganz leicht.

Tippi und Grace, benannt nach Alfred Hitchcocks Lieblingsschauspielerinnen, müssen ab August eine öffentliche Schule besuchen, denn die Spendengelder bleiben aus, so dass die Schwestern nicht mehr zu Hause privat unterrichtet werden können. Natürlich werden die Mädchen in der neuen Schule angestarrt, mit unschönen Sätzen bedacht, aber sie finden auch zwei richtig gute Freunde, die den beiden einen Hauch von Normalität vermitteln.
Als dann jedoch auch die Mutter ihren Job verliert und die Familie fast schon das Haus verkaufen und fortziehen muss, treffen Tippi und Grace ein schwierige, aber lukrative Entscheidung.

Crossan gestaltet die Mädchen so liebevoll, dass sie dem Leser unweigerlich ans Herz wachsen, ihn aber auch ständig damit konfrontieren, wie es wäre, wenn man IMMER jemanden so dicht an seiner Seite hätte. Ich konnte es mir nicht vorstellen. Ich kann es mir aber auch im normalen Leben kaum vorstellen, ständig mit einem einzigen Menschen zusammen zu sein. Doch im Laufe der Lektüre entwickelt man ein Gefühl und eine gehörige Portion Verständnis für die Heldinnen. Da Grace als Ich-Erzählerin agiert, schaut man quasi hinter die Fassade, lernt die beiden von innen heraus kennen. Grace bewirkt, dass die Zwillinge nicht als Freaks angesehen werden, sondern als gleichberechtigte Menschen, deren Entscheidung, nicht getrennt werden zu wollen, man mit Respekt begegnen muss.
In diesem Moment stehen Tippi und Grace dann für alle Menschen in dieser Welt, die nicht irgendwelchen blöden Normen entsprechen, und sei es, weil sie eine zu große oder zu kleine Nase haben.

So selbstverständlich es sein sollte, dass man sein Gegenüber nicht nach einer Nanosekunde aufgrund seines Äußeren beurteilen sollte, so wichtig ist es, genau dies in Zeiten von medialem Schönheitswahn, aber auch medialer Vorverurteilung aufgrund von Herkunft, Haut-, Haar- und Augenfarbe sowie Glauben, immer und immer wieder zu betonen, durchzuspielen und in neuen Varianten wie in diesem besonderen Buch zu diskutieren. Denn wir alle vergessen viel zu oft und viel zu schnell, dass es letztendlich immer und ausschließlich um das Eine geht:

Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Sarah Crossan: Eins, Übersetzung: Cordula Setsmann, mixtvision, 2016, 424 Seiten, ab 12, 16,90 Euro