Vielsagende Vögel

Wiedehopf

Papa hat 1000 Vögel gemalt, denn die Welt gerät aus den Fugen.« So beginnt die Hamburger Illustratorin und Cartoonistin Maren Amini ihren ersten Comic, Ahmadjan und der Wiedehopf.
Was für ein Debüt als Graphic-Novel-Autorin!
Es ist die bewegte, mitreißende Biografie ihres Vaters Ahmadjan. Es ist auch die Wiederentdeckung und moderne Neuerzählung der Konferenz der Vögel, eines großen persischen Epos aus dem 12. Jahrhundert des mystischen Dichters Fariduddin Attar.

1000 Vögel für vielfältige Kultur

Vor allem aber ist es die Geschichte eines faszinierenden Landes – Afghanistan. Ja, genau, das Land irgendwo eingeklemmt in Zentralasien, das heute nur noch mit engstirnigen religiösen Fundamentalisten assoziiert wird. Das bitterarme Land, von verschiedensten Gegnern zurückgebomt in die Steinzeit, wo Frauen entrechtet, geradezu entmenschlicht werden. In dem alle Andersdenkenden und Freiheitsliebenden brutal unterdrückt, getötet oder vertrieben werden.
Als die Taliban erneut die Macht ergreifen, reagiert der 1953 in Afghanistan geborene und in Hamburg lebende Ahmadjan Amini mit Kunst. Die 1000 Vögel beziehen sich auf Die Konferenz der Vögel, stellvertretend für die vielfältige und reiche Kultur Afghanistans und das Zusammenleben zahlreicher Ethnien. Für Freiheit, Sinnsuche und den lebenslangen Weg zur Erkenntnis. Seine Kunst hat Ahmadjans Leben gelenkt, geprägt, er hat von ihr gelebt und sie hat ihn immer wieder gerettet.

Raffiniert Lebensgeschichte und mystische Dichtung verknüpft

Zu ihrem großen Bedauern war Maren Amini, geboren 1983, noch nie im Heimatland ihres Vaters. Auch die mystische Dichtung kannte sie bis zur jetzigen Zusammenarbeit mit ihrem Vater nicht. Umso beeindruckender ist es, wie raffiniert und stimmig sie seine Lebensgeschichte mit Fariduddins Parabel erzählerisch in Text und Bild verknüpft.
In meist kleinen cartoonesken Bildern, mit flottem schwarzem Strich erzählt die international gefragte Illustratorin seine wilde, wandlungssreiche, manchmal fast märchenhafte Reise zwischen zwei Welten. Ein bisschen ist ihre Darstellung eine Mischung aus Charles M. Schulzs Peanuts und Sempé, eine knollennasige Figur mit dichtem Haarschopf, später mit typischen Schlaghosen. Ahmadjans Mutter stirbt früh, er wächst in einer lieblosen Stieffamilie von Schafhirten auf. Schon früh entdeckt er das Zeichnen für sich. Auch dank seines Talents entkommt er der Enge des Tals, bitterer Armut, Hunger und Kälte, zunächst mit einem Stipendium für ein Internat in Kabul. Dann mit einer Ausbildung zum Bauzeichner.

Wechselhaftes Leben zwischen Welten

Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre war Kabul ein Hotspot für Hippies. Durch sie lernt er Musik, traditionelle und westliche, sowie Filme und moderne Kunst kennen. Immer wieder begegnet er Menschen, die seinem Leben eine entscheidende Richtung geben, ihn inspiriert oder gefördert haben. Diese malt Maren Amini als Vögel, die für ganz unterschiedliche Typen stehen. Außerdem tauscht sich Ahmadjan mit einem imaginären Wiedehopf aus, den Amini ganz entzückend wie Woodpecker, Snoppys gefiederten Freund, darstellt. Und sie zitiert begleitend Fariduddin Attars fabelhafte Verse.
Das spannende und wechselhafte Leben ihres Vaters bewegt sich zwischen Afghanistan und Hamburg. 1972 kommt er zum ersten Mal mit einem Touristenvisum nach Deutschland, lebt in besetzten Häusern, lernt in einer Malschule im Karoviertel beim Begründer der Schlumper (einer Ateliergemeinschaft für Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen), studiert an der Hochschule für Bildende Künste, reist nach London, Amsterdam, Ibiza, besucht Musikclubs und Museen, wird schließlich abgeschoben. Als die Russen in Afghanistan einmarschieren, kommt er als einer der ersten asylsuchenden Flüchtlinge zurück nach Hamburg, das mittlerweile nach Pakistan und Iran die größte Gemeinde von Exil-Afghanen beherbergt. Hier lernt er Marens Mutter kennen, bekommt mit ihr zwei Töchter.

Genial pointierter Cartoon eines bunten Lebens

Spätestens jetzt kommt noch eine weitere Facette dieser außergewöhnlichen Graphic Novel zum Tragen: Die behutsame und berührende Annäherung von Tochter und Vater. Ahmadjan war überfordert vom Familienleben, hat Frau und Kinder früh verlassen. Jetzt erzählt er seiner Tochter seine Lebensgeschichte. Und sie kommen zusammen über die Kunst, über das Erzählen in Bildern, über ihre individuelle, brillante Bildersprache.
Und so kann man Maren Aminis Cover von Ahmadjan und der Wiedehopf als Essenz und absolut genial pointierten Cartoon des Lebens ihres Vaters erkennen. Begleitet von nunmehr dreißig, wie ein farbenprächtiger Schweif aus einer unter den Arm geklemmten Mappe aufsteigenden Vogelschemen, und gefolgt vom treuen, titelgebenden Wiedehopf geht Ahmadjan seines Weges. Das Porträt eines Künstlers, Individualisten und Träumers. Und das eines einzigartigen Landes. Absolut umwerfend und wunderbar.

Maren und Ahmadjan Amini: Ahmadjan und der Wiedehopf, Carlsen, 2024, 240 Seiten, 26 Euro, ab 12

Congratulations!

malalaWährend der Frankfurter Buchmesse werden immer jede Menge Preise vergeben. Angefangen beim Deutschen Buchpreis (dieses Jahr für Kruso von Lutz Seiler), über den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (Jargon Lanier), den Melusine-Huss-Preis der Hotlist der unabhängigen Verlage (an den Aviva Verlag für Mädchenhimmel von Lili Grün), den Virenschleuderpreis und die Nobelpreise. Bei den letzteren brennen auf der Buchmesse immer alle auf den Literaturnobelpreisträger. In diesem Jahr ist es der Franzose Patrick Modiano – einen Autor, den ich erst noch entdecken muss. Ich habe jetzt bestimmt noch ein paar andere Preise vergessen.

Das Highlight war für mich der Freitag. Da wurde mittags verkündet, dass Malala Yousafzai zusammen mit Kailash Satyarthi den Friedensnobelpreis bekommt. Echtes Gänsehautfeeling im Messetrubel. Denn gerade habe ich Malalas Geschichte in der Fischer-Ausgabe gelesen. Zusammen mit Patricia McCormick, der Jugendbuchautorin von Cut und Versehrt, erzählt Malala noch einmal von ihrem Leben im pakistanischen Swat-Tal, ihrem Wunsch nach Bildung und dem Schrecken der Taliban und ihrem Widerstand – und zwar für jugendliche Leser. So ist man ganz dicht bei Malala, erfährt, dass sich sich durchaus mit ihren Brüder streitet oder ihre Nase zu groß findet, dass sie gerne Badminton spielt – und wie sie schließlich 2012 als 15-Jährige niedergeschossen wurde und in Birmingham wieder gesund wird. Bilder aus ihrem Leben zeigen das wache Mädchen während einer Schulaufführung, als Klassenvorsteherin, mit Auszeichnungen für gute Leistungen. Es waren nur die ersten von einer ganzen Reihe, die ihr nach dem Attentat verliehen wurden.
Mit ihrer Malala-Stiftung kämpft sie weiterhin für das Recht von Mädchen auf Bildung. Vor all dem, ihrem Schicksal, ihrem Mut, ihrer Unverdrossenheit, ihrer Lebensfreude kann man sich nur respektvoll verneigen und ihr wünschen, dass sie durchhält und ihre Ideen möglichst viele Früchte tragen.

garlandFreitagabend wurde dann in Frankfurt zudem der Deutsche Jugendliteraturpreis vergeben. Aus Termingründen konnte ich nicht bei der Veranstaltung teilnehmen und erfuhr dann am späten Abend, dass Inés Garland und ihre Übersetzerin Ilse Layer in der Kategorie Jugendbuch gewonnen haben. Welche Freude! Ihren Roman Wie ein unsichtbares Band hatte ich bereits im vergangenen Jahr besprochen und ein Interview mit Inés Garland geführt. Nachzulesen hier.

Die anderen Preisträger sind Claude K. Dubois mit Akim rennt, in der Übersetzung von Tobias Scheffel, in der Kategorie Bilderbuch. Der Kinderbuchpreis ging an Martina Wildners Roman Königin des Sprungturms. Heidi Trpak (Text) und Laura Momo Aufderhaar (Illustration) bekamen den Preis für das beste Sachbuch, Gerda Gelse, Allgemeine Weisheiten über Stechmücke. Die Jugendjury entschied sich für Raquel J. Palacio Roman Wunder (übersetzt von André Mumot). Der Sonderpreis schließlich ging an die Übersetzerin Angelika Kutsch, die Kinderbücher aus dem Dänischen, Schwedischen und Norwegischen ins Deutsche bringt.

Also, ein echt preiswürdiger Messe-Freitag. Allen Gewinnern ganz herzlichen Glückwunsch! Congratulations! Felicitaciones!

Malala Yousafzai/Patricia McCormickMalala. Meine GeschichteAusgezeichnet mit dem Internationalen Friedenspreis für Kinder 2013 und Specsavers National Book Awards, Non-Fiction Book of the Year 2013, Übersetzung: Maren Illinger, Fischer KJB, 2014,  272 Seiten, 12,99 Euro