Der Kampf um die Demokratie

Vorneweg – ich war noch nie in einem Escape-Room und habe auch nicht vor, mich jemals in so eine Situation zu begeben. Dafür wird mir in abgeschlossenen Räumen zu schnell mulmig, auch ohne dass ich an Klaustrophobie leide.
Aber umso interessierter habe ich den neuen Roman von Manfred Theisen gelesen, Escape.

In diesem Pageturner werden sechs Jugendliche am Ende einer Schulprojektwoche in einen ebensolchen Raum geschickt, in dem sich zum Thema Demokratie ein wahres Labyrinth befindet. Durch dieses Wirrwarr müssen die sechs innerhalb von fünf Stunden hindurch. Die Räume sind thematisch ausgestattet, mal als Spiegelkabinett, mal als Barbie-World, als Studier- oder Arbeitszimmer oder als umgekrempelter Zauberwürfel.

Nur gemeinsam zu lösen

Wie es in Escape-Rooms üblich ist, kommt die Gruppe nur weiter, wenn sie jeweils ein Rätsel oder eine Aufgabe löst. Und da es sich thematisch um Demokratie dreht, werden die Teens, drei Jungs, drei Mädchen mit unterschiedlichen sozialen und geografischen Hintergründen, beispielsweise nach den den wichtigsten Grundsätzen für ein Zusammenleben in ihrem Traumland gefragt. Sie lernen die drei grundlegenden Pfeiler der Demokratie – Legislative, Judikative und Exekutive – kennen und müssen damit in einem virtuellen Computerspiel gegen einen drachenartigen Tyrannen kämpfen. Das alles geht nur gemeinsam – meistens jedenfalls.

Machtstreben und Machtspielchen

Die Gruppe wird aus einem Kontrollraum aus beobachtet, damit ihnen auch ja nichts passiert. Erzählerisch wechselt Theisen immer wieder zwischen den Spielenden und den Kontrollierenden und steigert so die Spannung. Nicht nur die wechselnden Räume führen zu beständigen Wendungen in den Plot, sondern Theisen bringt auch die Dynamiken in den Gruppen auf den Punkt und macht die Entwicklungen der verschiedenen Figuren deutlich. So wird aus dem nerdigen, aber superschlauen Josh, der im normalen Unterricht immer gemobbt wird, ein ziemlich unsympathischer Anführer mit diktatorischen Zügen. Der schöne Marc, der mit Ceylin zusammen ist, reagiert beleidigt. Die Mädchen versuchen auszugleichen, zwischen Ceylin und Sarah funkt jedoch die Eifersucht um Marc dazwischen.

Solidarität versus Egoismus versus Deepfake

Über eine App bekommen die Spielenden sowohl Anweisungen als auch monetäre Belohnungen, was die kapitalistischen Rahmenbedingungen spiegeln soll. Was draußen in der Welt also im Großen abläuft, findet sich so auch in diesem überschaubaren Kosmos wieder.
Dazu kommen die Intrigenspielchen der Überwachenden, die in einem Deepfake gipfeln, der die Stimmung auf einen dramatischen Höhepunkt treibt.

Rasante Geschichte, wichtiges Diskussionsmaterial

Auch wenn der auktoriale Stil Theisens mir nicht besonders gefällt – es gibt zu viel Headhopping und man muss sehr aufmerksam sein, um den Faden zwischen den Sprechenden und ihren Gedankengängen nicht zu verlieren –, bleibt Escape eine rasante Geschichte, die sich schnell liest und in keiner Sekunde langweilt. Mit den verschiedenen Räumen und ihren hochaktuellen Themen (bis hin zur Klimakatastrophe und KI-generierten Fake-News) bietet dieser Roman für Jugendliche viel Diskussionsmaterial. Die wichtigsten Punkte einer Demokratie werden erklärt, ohne dass es pädagogisch daherkommt. Dazu zeigen die Auseinandersetzungen und Verhaltensweisen der Figuren anschaulich, wo die Gefahren für dieses Herrschaftssystem liegen.

Potential als Schullektüre

Escape könnte ich mir als Schullektüre mit begleitenden Diskussionsrunden sehr gut vorstellen. Der Roman veranschaulicht, dass Demokratie keine einfachen Lösungen bereithält und dass für ihre Aufrechterhaltung sehr viel getan und hart darum gekämpft werden muss. Das mag abschrecken, das mag ermüden, das mögen viele Menschen vielleicht nicht gern hören, aber die Alternativen sind einfach nicht akzeptabel. Das den Jugendlichen so früh wie möglich zu vermitteln und ihnen die Gefahren von Manipulation durch die sozialen Medien und KI-Tools vor Augen zu führen, sollte mittlerweile eigentlich selbstverständlich sein. Scheint es aber leider immer noch nicht. Theisens neuer Roman könnte dabei helfen.

Manfred Theisen: Escape. Der Schlüssel sind wir, cbt, 2025, 240 Seiten, 10 Euro, ab 12

Sensibilisierung

monophonWie funktioniert Faschismus? Eine schnelle Antwort auf diese Frage wird es wohl nie geben, denn in der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts haben sehr viele Faktoren über eine lange Vorlaufzeit zu der Entstehung von Terrorregimen geführt. Wie soll man den Kindern von heute also erklären, wie sich die Menschen damals und auch heute noch von einzelnen Anführern so manipulieren ließen und lassen?

Aufarbeitungsbücher, die die Geschichte und die Einzelschicksale erklären und einordnen, gibt es jede Menge, und diese Bücher werden dringend gebraucht, zumal kaum noch Zeitzeugen von damals am Leben sind. Die Kultur der Erinnerung und Mahnung verändert sich. In diesem Zusammenhang geht Elisabeth Zöller mit ihrem neuen Buch Monophon einen anderen, sehr besonderen Weg. Sie erzählt keine historischen Ereignisse, sondern zeigt am Beispiel einer fiktiven Kleinstadt in einer nicht genauer definierten Gegenwart, wie schnell aus einer vielfältigen Gesellschaft ein faschistisches System werden kann.

Eines Tages steht auf dem Marktplatz ein Monophon, ein eher antiquiertes Objekt, einem Grammophon ähnlich, das aber nur mit einer Stimme spricht. Es spielt nette Musik ab und unterhält die Menschen im Dorf. Man singt, man tanzt, man freut sich an der Abwechslung und der Kurzweil.
Doch mit der Zeit teilt das Monophon auch Dinge mit, die verwundern: Alle Rothaarigen sollen sich auf dem Platz versammeln, sie würden einen Ausflug machen. Verwunderung und Neid macht sich bei den Zurückgebliebenen breit. Später werden die Sommersprossigen und die Brillenträger fortgebracht. Der Neid schlägt in Misstrauen um, denn die Menschen kehren nicht zurück.
Stattdessen bewachen nun Männer in schwarzen Hemden das Monophon, es werden Jungen- und Mädchengruppen, Frauen- und Männerbünde gegründet. Wer sich der Gemeinschaft nicht anschließt, wird geschnitten.

Mathilda, die diese Entwicklung ganz genau beobachtet, wandelt sich von anfänglich begeisterter Anhängerin des Monophons in eine erbitterte Gegnerin. Denn sie merkt, dass Menschen, die anderes denken, nicht mehr akzeptiert werden. Selbst ihre beste Freundin verändert sich plötzlich und wird zu einer fanatischen Anhängerin der Schwarzhemden. Zusammen mit ihrem Freund Coolman schmiedet Mathilda einen Plan, um das Monophon aus der Stadt zu schaffen.

Elisabeth Zöller gelingt es in ihrer Parabel anhand von wenigen Beispielen, sowohl die Absurdität als auch das Gewaltpotential von Faschismus zu umreißen. Selbst jungen Lesern wird so sehr gut deutlich gemacht, wie viel es wert ist, seine Meinung frei äußern, selbst über sich, seine Zeit, seine Freunde, sein Leben bestimmen zu können, und nicht wegen eines körperlichen Merkmals oder einer anderen Meinung (oder wahlweise auch einem anderen Glauben oder einer anderen sexuellen Orientierung) diskriminiert zu werden.
Das Experiment, Faschismus nicht in einem historischen Kontext zu erklären, gelingt hervorragend, denn Elisabeth Zöller macht klar, dass es jederzeit und überall wieder zu solchen Entwicklungen kommen könnte. Hier und jetzt. Die Gefahr des Faschismus ist eben nicht vorbei und Teil einer lang zurückliegenden Vergangenheit, sondern in Ausgrenzung, Rassismus und fremdenfeindlicher Gewalt auch heute immer noch zu spüren. Mit Monophon sensibilisiert Elisabeth Zöller die Kinder dafür, solche Verhaltensweisen zu erkennen und sie nicht stillschweigend zu akzeptieren, sondern die Stimme dagegen zu erheben.

Elisabeth Zöller: Das Monophon, Illustration: Verena Ballhaus, Hanser, 2013, 160 Seiten, ab 10, 12,90 Euro