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Einpacken, einstecken, aufdecken

Es gibt Spiele die sind zeitlos gut, so das klassische Ich packe meinen Koffer. Die Autorin Regina Schwarz hat mit der Illustratorin Julia Dürr daraus ein sehr hübsches Bilderbuch gestaltet, das zusammen mit der kostenlos herunterladbaren App vor allem als Anregung zu verstehen ist. „Komm wir wollen Urlaub machen und packen alle Siebensachen …“ und schon geht es los. Was Erwachsene und Eltern meistens eher als anstrengend und lästig empfinden, steigert bei Kindern die Vorfreude auf die Ferien. Besonders wenn nicht unbedingt Vernünftiges in den Koffer wandert, sondern Sachen, deren Einsatz Spaß verheißt, unter anderem Picknickgabeln, Luftmatratze und Leuchtraketen.

Das wird aber, hübsch bunt und collageartig bebildert, den kindlichen Zuhörern nicht einfach so vor den Latz geknallt, sondern als zu erratender Reim. So lässt sich einiges anderes ins Gepäck hineinfantasieren: Warum nicht eine Picknickparabel und eine aufblasbare Fratze einpacken? Auf jeden Fall würde ich mit dem schönen, roten Taschenmesser auch einen Zombiefresser mitnehmen, den kann man immer brauchen (obwohl ich vor anderen lebenden Untoten sehr viel mehr Angst habe, aber das kommt beim nächsten Mal). Natürlich ist der Koffer viel zu klein, und Julia Dürrs lustiges und lebendiges Sammelsurium ergießt sich explosionsartig über mehrere Seiten … auf ein Neues! Ich packe meinen Koffer …

Der freundliche Herr Hoi hat in Pardon Bonbons auch mit Kindern zu tun, die etwas einstecken. Ihm gehört ein kleines Geschäft für Süßigkeiten, wo sich regelmäßig ein paar Kinder Bonbons nehmen, ohne zu bezahlen. Die junge Illustratorin Malin Neumann (1995 geboren) hat zu Marjaleena Lembckes Erzählung teils schwelgerische, doppelseitige Bilder gemalt, mit ungewöhnlichen Perspektiven. Dabei setzt sie nicht auf Bonbonfarben, sondern nimmt ein schönes gedecktes Blau als Grundton, der dem Ganzen etwas Gelassenes und zeitlos Elegantes gibt. Der aus Thailand stammende Herr Hoi glaubt einfach unerschütterlich an das Gute im Menschen. Er ist ein glücklicher Mensch, egal ob eine Kundin ihn ermahnt, „aufzupassen, dass die Kinder Ihnen nicht auf der Nase herumtanzen“ und sein Sohn sich über die Großzügigkeit des Vaters ärgert. „Pardon Bonbons“ sind seine Spezialität und die haben es in sich. Zwar wirbt der Bohem Verlag für das besondere Bilderbuch mit der Erkenntnis, „dass es nie zu spät ist, Entschuldigung zu sagen“, vor allem aber erzählt es von einer Lebenseinstellung, von der wir uns alle mehr als nur ein Stückchen einstecken sollten.

Zeitlose Wahrheiten entdeckt auch Emilia im Geheimnis der gelben Tapete. Andrea Schomburg erzählt in der Tulipan-Reihe Kleiner Roman, erneut sympathisch illustriert von Dorothee Mahnkopf, in zwei Zeitebenen von Freundschaft, Gruppendynamik und Außenseitern. Anscheinend hat es schon immer diese Typen oder – wie hier – biestige Mädchen gegeben, die als cool gelten und andere manipulieren können – bis man in den meisten Fällen merkt, dass es nur langweilige, oberflächliche Hohlbirnen sind.

Das ist harmlos und flott erzählt, ein bisschen im leicht betulichen Stil von Kinderbüchern aus den 50er Jahren, in denen das Geheimnis angesiedelt ist. Eindrückliche Sprachbilder wie in ihrer Erzählung Lisa und das Fluff findet Schomburg diesmal nicht. Doch abgesehen von der klugen Erkenntnis über das Wesen wahrer Freundschaft ist dieser Band Anlass für Erstleser, andere Kleine Romane zu entdecken.

Regina Schwarz: Ich packe meinen Koffer, Illustration: Julia Dürr, Tulipan, 2018, 36 Seiten, ab 4,18 Euro

Marjaleena Lembcke: Pardon Bonbons, Illustration: Malin Neumann, Bohem 2017, 42 Seiten, ab 3, 16,95 Euro

Andrea Schomburg, : Das Geheimnis der gelben Tapete, Illustration: Dorothee Mahnkopf, Tulipan, 2017, 64 Seiten, ab 7, 10 Euro

Sensibilisierung

monophonWie funktioniert Faschismus? Eine schnelle Antwort auf diese Frage wird es wohl nie geben, denn in der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts haben sehr viele Faktoren über eine lange Vorlaufzeit zu der Entstehung von Terrorregimen geführt. Wie soll man den Kindern von heute also erklären, wie sich die Menschen damals und auch heute noch von einzelnen Anführern so manipulieren ließen und lassen?

Aufarbeitungsbücher, die die Geschichte und die Einzelschicksale erklären und einordnen, gibt es jede Menge, und diese Bücher werden dringend gebraucht, zumal kaum noch Zeitzeugen von damals am Leben sind. Die Kultur der Erinnerung und Mahnung verändert sich. In diesem Zusammenhang geht Elisabeth Zöller mit ihrem neuen Buch Monophon einen anderen, sehr besonderen Weg. Sie erzählt keine historischen Ereignisse, sondern zeigt am Beispiel einer fiktiven Kleinstadt in einer nicht genauer definierten Gegenwart, wie schnell aus einer vielfältigen Gesellschaft ein faschistisches System werden kann.

Eines Tages steht auf dem Marktplatz ein Monophon, ein eher antiquiertes Objekt, einem Grammophon ähnlich, das aber nur mit einer Stimme spricht. Es spielt nette Musik ab und unterhält die Menschen im Dorf. Man singt, man tanzt, man freut sich an der Abwechslung und der Kurzweil.
Doch mit der Zeit teilt das Monophon auch Dinge mit, die verwundern: Alle Rothaarigen sollen sich auf dem Platz versammeln, sie würden einen Ausflug machen. Verwunderung und Neid macht sich bei den Zurückgebliebenen breit. Später werden die Sommersprossigen und die Brillenträger fortgebracht. Der Neid schlägt in Misstrauen um, denn die Menschen kehren nicht zurück.
Stattdessen bewachen nun Männer in schwarzen Hemden das Monophon, es werden Jungen- und Mädchengruppen, Frauen- und Männerbünde gegründet. Wer sich der Gemeinschaft nicht anschließt, wird geschnitten.

Mathilda, die diese Entwicklung ganz genau beobachtet, wandelt sich von anfänglich begeisterter Anhängerin des Monophons in eine erbitterte Gegnerin. Denn sie merkt, dass Menschen, die anderes denken, nicht mehr akzeptiert werden. Selbst ihre beste Freundin verändert sich plötzlich und wird zu einer fanatischen Anhängerin der Schwarzhemden. Zusammen mit ihrem Freund Coolman schmiedet Mathilda einen Plan, um das Monophon aus der Stadt zu schaffen.

Elisabeth Zöller gelingt es in ihrer Parabel anhand von wenigen Beispielen, sowohl die Absurdität als auch das Gewaltpotential von Faschismus zu umreißen. Selbst jungen Lesern wird so sehr gut deutlich gemacht, wie viel es wert ist, seine Meinung frei äußern, selbst über sich, seine Zeit, seine Freunde, sein Leben bestimmen zu können, und nicht wegen eines körperlichen Merkmals oder einer anderen Meinung (oder wahlweise auch einem anderen Glauben oder einer anderen sexuellen Orientierung) diskriminiert zu werden.
Das Experiment, Faschismus nicht in einem historischen Kontext zu erklären, gelingt hervorragend, denn Elisabeth Zöller macht klar, dass es jederzeit und überall wieder zu solchen Entwicklungen kommen könnte. Hier und jetzt. Die Gefahr des Faschismus ist eben nicht vorbei und Teil einer lang zurückliegenden Vergangenheit, sondern in Ausgrenzung, Rassismus und fremdenfeindlicher Gewalt auch heute immer noch zu spüren. Mit Monophon sensibilisiert Elisabeth Zöller die Kinder dafür, solche Verhaltensweisen zu erkennen und sie nicht stillschweigend zu akzeptieren, sondern die Stimme dagegen zu erheben.

Elisabeth Zöller: Das Monophon, Illustration: Verena Ballhaus, Hanser, 2013, 160 Seiten, ab 10, 12,90 Euro