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Eifersucht

Man kennt die die Kisten mit der Aufschrift »Zu verschenken«, die vor allem in Großstädten an den Straßen stehen. Darin findet sich manchmal Nützliches, häufig aussortierte Bücher, auch hübscher Kleinkram, oder einfach nur Müll.
Ein Karton mit der Aufschrift Kind zu verschenken! ist allerdings außergewöhnlich. Wie auch das gleichnamige Kinderbuch von Hiroshi Ito. Das kleine Mädchen darin sucht eine neue Familie. Sie hat die Nase voll: »Vor drei Monaten habe ich einen kleinen Bruder bekommen. Er sah aus wie ein Äffchen. Wenn er nicht schrie, wurde er gestillt oder kackte. Er war kein bisschen niedlich.«

»Ich suche mir ein neues Zuhause« »Ja ja«

Trotzdem kümmert sich ihre Mutter nur um das Baby. Und überhaupt nicht um ihre Tochter. Also zieht das vernachlässigte, zornige Mädchen Konsequenzen: »Du brauchst mich wohl nicht mehr, Mama, oder?« »Ich haue ab, ich suche mir ein neues Zuhause!« Als auch auf diese Drohung nur ein geistesabwesendes »Ja, ja,« kommt, macht die Kleine ernst und sich auf in ein neues Leben.
Sie findet einen leeren Pappkarton, schreibt in ihrer schönsten Schrift Kind zu verschenken drauf, wartet und träumt von einer neuen Familie. Einer mit großem Haus und Garten und Pool. Einer, in der sie das einzige Kind ist und mit Eltern, die nur sie liebhaben.

Minimalistisch und vielsagend

Diese Mischung aus Comic und Erstlesebuch ist eine entzückende Geschichte über ein Gefühl, das jedes Kind mit Geschwistern kennt, die Eifersucht. Die Zeichnungen in Schwarz-Weiß, mit nur wenigen roten Akzenten für die Wangen oder einer Schleife auf dem Kopf, sind minimalistisch und doch sehr vielsagend. Das Mädchen kann richtig böse gucken, ihre Wut und Enttäuschung ist offensichtlich. Ebenso ihre Stärke und ihr Eigensinn.
Auch sprachlich ist es so puristisch wie ausdrucksstark. »Jetzt reichte es mir. In diesem Affenhaus wollte ich keine Minute länger bleiben«, sagt sie. Und brummelt »Pff, Mama ist pupsgemein.« Ursula Gräfe hat das Abenteuer pointiert und urkomisch übersetzt. Und genial und sehr witzig wird der Konflikt zum Schluss zum Schluss gelöst.

Ein Äffchen. Aber süß

Dazwischen rappelt es aber noch ordentlich im Karton, wenn es zur Variante der Bremer Stadtmusikanten wird. Ein verlaufender Hund, eine streunende Katze und eine ausgesetzte Schildkröte gesellen sich auf der Suche nach einem neuen Zuhause dazu. So kann Eifersucht richtig Spaß machen. Und manchmal ist ein kleiner Bruder wirklich ein Äffchen. Aber süß.

Jüngere Geschwister haben es auf der anderen Seite aber auch nicht immer leicht: »Angefangen hat alles mit dem Straßentrödel. Einfach mal das alte Spielzeug rausgestellt  und ein bisschen Geld verdient. Da haben wir, ganz aus Versehen, unsere kleine Schwester verkauft.« Geld gewonnen und nebenher noch eine kleine Nervensäge losgeworden. Klassische Win-Win-Situation. Nur die Eltern sind sauer. »Meine Mama war ziemlich wütend und Papa hat geweint«, erzählt die geschäftstüchtige und überhaupt nicht zerknirschte Tochter. Der Vater schluchzt: «Die war doch ganz neu!«

Famose Kapitalismus Satire

Macht nix, kann man sich ja eine neue, höfliche und adrette gegenüber kaufen, inklusive einem Koffer mit Wintersachen. »Allerdings war sie nicht ganz billig. Deshalb mussten wir Oma verkaufen.« Die ist zwar kein scheckheftgepflegter Oldtimer und hat viele Gebrauchsspuren, geht aber an einen Liebhaber zum Liebhaberpreis weg.
Und so wird munter die ganze Familie inklusive Katze versilbert, in Zahlung gegeben, im Internet angepriesen, nach dem Motto »Alles muss raus«. Nur die Mutter ist zu ramponiert und taugt nur noch für Bastler.
Was als Flohmarktgeschichte beginnt, entwickelt sich zu einer famosen Kapitalismus-Satire, verpackt in einem witzigem Kindercomic. Als die gewiefte Göre erstmal auf den Geschmack des Geldes kommt, gibt’s zunächst kein Halten. Doch wenn alle Fast Food bestellt und auf dem Tablet alles durchgeglotzt ist, kann es auch ziemlich einsam werden. Also beschießt unsere übersättigte Erzählerin: »Ich glaub, ich geh einkaufen!«
Was sie bei ihrer neuen Shoppingtour erwirbt, ist sehr überraschend und eine weitere tolle Lektion der freien Marktwirtschaft … und wird hier natürlich nicht verraten.

»Can’t buy me love«

Zu Martin Baltscheits herrlich schnoddrigem Ton passen Thomas Wellmanns karikatureske Illustrationen perfekt. Die originellen Familienmitglieder werden charmant frotzelnd charakterisiert. Die Verlockungen des Reichtums in knallig überladenen Bildern ausgemalt. Und das Besondere von Familienbanden, nicht nur der eigenen Kleinfamilie, bunt und vielfältig gefeiert.
»Can’t buy me love«, sangen schon die Beatles (was man Kindern nicht früh genug vorspielen kann). Wir lernen: Mit Geld kann man nicht kuscheln, und verrückte Gutenachtgeschichten wie Oma zu verkaufen liest es auch nicht vor.

Hiroshi Ito: Kind zu verschenken, Übersetzung: Ursula Gräfe, Moritz Verlag, 120 Seiten, ab 6, 14 Euro

Martin Baltscheit, : Oma zu verkaufen, Illustrator: Thomas Wellmann, Kibitz, 32 Seiten, ab 6, 15 Euro

Die Sieger des Deutschen Jugendliteraturpreises 2018

Und wieder ist eine Buchmesse vorbei. Doch was für eine! Ich habe den Überblick verloren, wie oft ich schon in Frankfurt auf der Buchmesse war – doch so wie diese war noch keine.
Denn zum ersten Mal im Leben habe ich einen Preis gewonnen: Den Deutschen Jugendliteraturpreis in der Sparte Sachbuch für meine Übersetzung Der Dominoeffekt von Gianumberto Accinelli und Serena Viola, die die wunderschönen Illustrationen beigetragen hat. Über den Inhalt des Buches habe ich schon einmal hier berichtet.

Als Übersetzerin war ich dieses Jahr zum zweiten Mal nominiert – nach 2016 für das Bilderbuch Der goldene Käfig von Anna Castagnoli und Carll Cneut – und konnte die Verleihung etwas gelassener angehen als beim ersten Mal. Schon allein die Nominierung ist ein großer Erfolg, kommen doch jedes Jahr etwa 9000 neue Kinder- und Jugendbücher auf den Markt. Und wie eine Jury entscheidet – das kann man nie, nie, nie vorhersehen. So ein Preis ist im Grunde die Sahnehaube auf der Nominierungstorte.

Als Bundesfamilienministerin Franziska Giffey dann jedoch den Umschlag öffnete – diese Veranstaltung hat schon ein bisschen etwas von einem Hollywood-Oscar-Anstrich – haben Serena Viola und ich uns an den Händen gepackt und gebangt. Eigentlich hatte ich immer gedacht, dass man völlig erleichtert ist, wenn dann der Name des eigenen Buches genannt wird – doch es war eher das Gegenteil: Schlagartig war ich so aufgeregt, dass ich total weiche Knie und hektische rote Flecken im Dekolleté bekam. OMG!!!
Serena Viola schien es ähnlich zu ergehen. Wir sind quasi Arm in Arm auf die Bühne, während Gianumberto Accinelli voller Energie vorstürmte. Wir haben dann dort oben ein paar Fragen beantwortet – und ich bewundere seitdem jeden, der in so einer Situation auf einer hell erleuchteten Bühne auch nur einen klaren Satz herausbringt. Ich jedenfalls stand eher ein bisschen neben mir und hielt mich quasi an der schweren Momo-Statue fest, die jede_r Gewinner_in bekam.
Der Rest des Abends war ein wunderbarer Reigen von Gratulationen, Umarmungen, Anstoßen, Durchatmen, Es-nicht-glauben-Können und einem herrlichen Essen mit dem Fischer Verlag. Mit anderen Worten: großartig und unvergesslich!

BruderDoch nicht nur Der Dominoeffekt ist ausgezeichnet worden, sondern auch vier weitere Bücher.
In der Sparte Bilderbuch ging der Preis an Oyvind Torseter und seine Übersetzerin Maike Dörries für Der siebente Bruder oder Das Herz im Marmeladenglas. Darüber habe ich hier berichtet.
In der Sparte Kinderbuch sind Megumi Iwasa (Text), Jörg Mühle (Illustrationen) und Ursula Gräfe (Übersetzung) für Viele Grüße, deine Giraffe ausgezeichnet worden. Dieses Buch habe ich noch nicht gelesen und muss es unbedingt nachholen.

 

Das Buch Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß von Manja Präkels hat in der Sparte Jugendbuch gewonnen und stellt gerade meine Frühstückslektüre dar.
Präkels erzählt darin von der Umbruchzeit 1989/1990 in der ostdeutschen Provinz, als in einem kleinen Havelstädtchen sich die ehemaligen Spielkameraden von Mimi zu Nazis wandeln und der westliche Kapitalismus die zuvor leeren Schaufenster überquellen lässt.
Präkels erinnert so daran, wie es vor fast dreißig Jahren in der zerfallenden DDR zuging, mit welchen Unsicherheiten und Veränderungen die Menschen dort zu kämpfen hatten, wie sie überrumpelt wurden und wie auf einmal Überzeugungen zu Tage traten, die man nicht für möglich gehalten hätte – und die leider auch heute wieder hochkochen. Das, was die Ostdeutschen damals erleben mussten, können wir heute nicht mehr rückgängig machen, doch Präkels Roman hilft dabei, deren Frust zu verstehen. Das ist zwar noch lange keine Lösung unserer jetzigen Probleme, doch Verständnis und das Miteinander-Reden ist ein Anfang, um die unsichtbare Mauer, die zwischen Ost und West immer noch besteht, endgültig niederzureißen. Es wird Zeit.

Die Jugendjury schließlich hat sich für den Roman The Hate U Give von Angie Thomas in der Übersetzung von Henriette Zeltner entschieden. Eine wunderbare Wahl, wie ich finde. Das Buch habe ich hier vorgestellt.

Zudem gab es zwei Sonderpreise, in diesem Jahr waren die Übersetzer_innen an der Reihe – im Drei-Jahres-Turnus werden Autor_innen, Illustrator_innen und Übersetzer_innen ausgezeichnet.
Der Preis für die Newcomerin ging an Gesa Kunter und ihre Übersetzung des Buches Schreib! Schreib! Schreib! der Schwedinnen Katarina Kuick und Ylva Karlsson.

Der Preis für das Gesamtwerk Übersetzung erhielt Uwe-Michael Gutzschhahn, dessen Werke ich auch hier schon das eine oder andere Mal vorgestellt habe – so sei hier an das umwerfende Buch Zorgamazoo von Robert P. Weston erinnert. Schon allein für dieses sprachliche Leistung hätte Gutzschhahn jeden möglichen Preis verdient.

Allen Siegern gratuliere ich ganz herzlich und freue mich sehr, in dieser wunderbaren Runde vertreten sein zu dürfen!