Irrfahrt ins Leben

babyTeenage-Mütter sind mittlerweile ein fester Bestandteil von Literatur, Film und TV-Formaten. Teenage-Väter hingegen kommen zumeist nur am Rande vor, wenn überhaupt.
Einen Kontrapunkt setzt nun der junge Amerikaner Emil Ostrovski mit seinem packenden Romandebüt Wo ein bisschen Zeit ist …, ins Deutsche gebracht von Thomas Gunkel.

An seinem achtzehnten Geburtstag erhält Jack einen Anruf von seiner Ex-Freundin Jess, gerade als er sich mit dem Gedanken trägt, seinem Leben ein Ende zu setzen. Sie bekomme gleich einen Sohn, den sie zur Adoption freigeben wird. Jack eilt zu ihr ins Krankenhaus, und als er seinen Sohn dann mal halten darf, brennt bei ihm so etwas wie ein Sicherung durch – vielleicht könnte man es auch den Ausbruch von ersten Vatergefühlen nennen – jedenfalls nimmt Jack das Baby einfach mit. Er will es nicht sofort den Adoptiveltern übergeben. Warum weiß er eigentlich auch nicht.
Es folgt eine Odyssee durch ein Kleinstadt-Amerika. Jack fängt dabei an, seinem Sohn, den er kurzerhand Sokrates kauft, das Leben und die Philosophie zu erklären. Er erzählt von Troja, der Unendlichkeit, zweifelt am freien Willen.
Da Jack mit dem Baby aber allein nicht wirklich weiterkommt, holt er seinen besten Freund Tommy dazu, später auch noch Jess. Gemeinsam flüchten sie vor der Polizei, kämpfen mit einem nur Deutsch sprechenden Navi, „leihen“ sich eine Yacht, werden seekrank und fahren  zu Jacks uralten, dementen Oma, um ihr den Urenkel vorzustellen. Jack besteht darauf, fühlt es sich so doch wie eine Verabschiedung von Oma und Sohn an.

Ostrovskis Roman ist eine Geschichte, die auf verschiedenen Ebenen berührt. Ein leicht depressiver Jugendlicher schnappt sich einen Neugeborenen, ohne zu wissen, welche Bedürfnisse dieser kleine Mensch eigentlich hat. Als Leser leidet man auf der Stelle mit dem Baby mit, ist es doch den Launen seines unerfahrenen Vaters ausgesetzt ist. Doch Jack wächst mit seinen Aufgaben, besorgt Windeln, Strampler, Babymilch, Kindersitz …
Neben dem Mitgefühl für das Baby reizen Jacks Trotteligkeit und die Situationskomik die Lachmuskeln. Seine philosophischen Monologe mit Sokrates liefern zusätzlichen Input, der nachdenklich macht und anregt, über das Leben an sich, Bindungen, Liebe, Freundschaft, Geburt und Tod nachzusinnen. Drunter macht es Ostrovski nicht.
Und das macht er leichtfüßig und charmant, auch Dank der Übersetzung von Thomas Dunkel. All dies erspart dem Leser jedoch eine erneute Lektüre nicht, denn die philosophischen Gedankengänge haben es in sich und können wieder und wieder gelesen werden. Hier findet (vermutlich) jeder etwas für seine ganz persönliche Lebenssituation. Aber das ist ja das Großartige an der Philosophie, so kompliziert sie erscheint, so bereichernd ist sie – für jeden. Und genau das gilt für diese oberflächlich betrachtet komische Vater-Sohn-Geschichte: In der Tiefe des Textes findet man das, was unser Dasein lebens- und liebenswert macht – nämlich die vielfältigen Beziehung zu anderen Menschen, seien es die Eltern, Großeltern, Kinder, Freunde oder Partner.

Mit dieser jugendlich-philosophischen Irrfahrt feiert Ostrovski  das Leben auf allerschönste Art.

Emil Ostrovski: Wo ein bisschen Zeit ist …, Übersetzung: Thomas Gunkel, Fischer FJB, 2014, 304 Seiten, 16,99 Euro