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Wichtiges ohne Worte erzählt

IMG_20160419_141151Kommt es nur mir so vor, oder leben wir in einer unglaublichen geschwätzigen Zeit. War das schon immer so? Gehört das zum Menschsein dazu? An manchen Tagen habe ich so meine Zweifel und möchten gewissen Menschen sagen: „Öfter mal die Klappe halten und einfach nur zuhören, könnte helfen.“
Man verpasst doch etliches, wenn man immer nur selbst quatscht. Dabei gibt es so viel zu entdecken, wie diese drei Bilderbücher beweisen, die ganz ohne Gequatsche, also ohne Text auskommen.

Den Anfang macht das comicartige Buch Überall Blumen des Kanadiers Jon A. Lawson. In schwarz-weißen Panels geht ein kleines Mädchen an der Hand des Vaters durch eine graue Stadt. Der Vater scheint sich nicht besonders für die Lütte zu interessieren, zerrt sie fast hinter sich her. Doch das hindert das rotgekleidete Mädchen nicht, mit offenen Augen durch die Welt zu laufen. Und dabei entdeckt sie an allen Ecken und Enden Schönes: das Vogeltattoo auf dem Arm eines Mannes, eine gelbe Hundeblume am Fuß eines Pfahls, ein rosanes Blümchen zwischen irgendwelchen Metallstreben, ein geblümtes Kleid einer Frau an der Haltestelle, noch mehr Blumen. Einen ganzen Strauß pflückt das Mädchen zusammen. Sie werden zu einem letzten Gruß an einen toten Sperling, der im Park auf dem Weg liegt. Das Mädchen verteilt die gepflückten Blumen, an einen schlafenden Mann auf der Parkbank, an den Hund der Nachbarn, an die Geschwister, die im heimischen Garten spielen.
Und auf einmal sieht der Betrachter überall Blumen. Immer mehr Farben dringen in die grauen Panels. Der Blick von Rotkäppchen überträgt sich auf den Betrachter, macht ihm ohne ein einziges Wort klar, das man mehr sieht, wenn man auch die Kleinigkeiten beachtet und nicht ständig mit dem Handy am Ohr oder vor der Nase durch die Welt läuft. Zudem zeigen ihre liebevolle Gesten gegenüber den anderen, sei es ein Mann auf der Bank, ein Hund oder ein toter Vogel, dass das Leben zu kurz ist für Unfreundlichkeit und Gehässigkeit.

Dass man sich bestens verstehen kann, selbst wenn man ganz unterschiedlichen Spezies angehört, zeigt hingegen die Französin Anne-Caroline Pandolfo in ihrem Büchlein Die Tinten Spinner. Die Geschichte könnte beginnen mit den Worten: „Treffen sich ein Tintenfisch und eine Spinne …“ Aber auch in diesem Buch gibt es keine Worte.
Dafür verbindet den roten Kopffüßler und das schwarze Insekt etwas Außergewöhnliches: ihre acht Beine bzw. Arme. Die beiden schauen sich mit großen Augen an, und schon geht der Wettbewerb los: Wer kann was am besten?
Der Tintenfisch protzt mit seinem Tintenvorrat, die Spinne webt ein wildes Chaos zusammen. Doch Konkurrenz macht erfinderisch und Wettkampf stachelt zu Höchstleistungen an, so wird aus dem Tintengeklekse ein entzückendes Seepferdchen, das Spinnennetz nimmt die Form eines Pferdes an. Und wenn diese Gesellen schon keine Selfies von sich machen, so schaffen sie schließlich doch jeweils das Portrait des anderen.
Und auf einmal sind aus zwei ganz verschiedenen Wesen Freunde geworden, die begriffen haben, dass der eine genauso gut ist wie der andere – und dass man gemeinsam einfach mehr Spaß hat.

Gemeinsam kann man sich zudem auch viel besser gegen die vermeintlich Stärkeren durchsetzen. Die katalanische Illustratorin Inma Pla, genannt Imapla, beweist dies mit wenigen einfachen schwarz-weißen Bildern in Der König der Meere: der kleine Fisch schwimmt durchs Wasser und hält sich für den König der Meere. Es kommt, wie es kommen muss: Groß frisst klein, größer frisst groß, und die Fische sammeln sich wie eine Matroschka im Bauch des Wals. Doch wenn der Größte meint, er sei tatsächlich der Größte, hat er die Rechnung ohne die Macht der Masse gemacht. Und so tun sich kleine blaue Fische zusammen und verweisen den Wal auf seinen Platz.
„Blubb“, „Zzzisch“ und „Happs“ sind die einzigen Worte auf den wenigen Seiten. Ich zähle sie nicht. Doch die Botschaft ist auch für die kleinen Betrachter dieses Pappbuches eindeutig: Die Gemeinschaft siegt, egal wie groß der Gegner auch sein mag, vorausgesetzt, sie tut solidarisiert sich.

Auch ohne Worte schaffen diese drei Bilderbücher es, ganz große Geschichten über das Leben zu erzählen. So unterschiedlich sie auch sind, sie zeigen, dass Gemeinschaft, Freundschaft und der offene Blick für seine Umwelt uns weiter bringen, als so manches leeres, angeberisches Geschwätz. Gleichzeitig kann man den jungen Betrachtern schon sehr früh klar machen, dass nicht immer die Worte zählen, sondern die Taten. Diese Erkenntnis hat so mancher Erwachsener, welch einflussreiche Position er auch bekleiden mag, leider immer noch nicht durchgeleitet. Man möchte ihnen diese Bücher ans Herz legen. Denn zum Lernen ist es ja bekanntlich nie zu spät.

PS: Die Geschichte von Imapla ist vielleicht nicht neu. Im Mai 2012 jedenfalls gab es in Berlin-Mitte folgenden Stencil, der genau das zeigt … Allerdings kann man diese Botschaft nicht oft genug zum Ausdruck bringen.

könig

Jon A. Lawson: Überall BlumenIllustration: Sydney Smith, Fischer Sauerländer, 2016, 32 Seiten, ab 4, 14,99 Euro

Anne-Caroline Pandolfo: Die Tintenspinner, mixtvision, 2016, 32 Seiten, ab 3, 12 Euro

Imapla: Der König der Meere, Fischer Sauerländer, 2016,
20 Seiten, ab 3, 12,99 Euro

[Gastrezension] Diese Bücher verkürzen den Advent …

adventJetzt, wenn die Temperaturen frostiger werden, es tagsüber gar nicht mehr hell wird, selbst auf den kleinsten Plätzen Weihnachtsmärkte eröffnen und sogar Hamburg einen Sonntagnachmittag in magischem Schneeweiß glitzerte, kommt man endlich in Weihnachtsstimmung. Aber was macht man in den kommenden Wochen? Adventskalender wirken ziemlich profan. Helfen können zwei Bücher, die die Zeit bis Heiligabend viel schöner versüßen und von denen alle etwas haben:

Ausgerechnet am ersten Dezember verfängt sich die Fliege Bisy in Kai Pannens Buch Du spinnst wohl! im Netz der Spinne Karl-Heinz. Die freut sich über den Festtagsbraten, verschnürt Bisy zum Paket und will ihn schön bis Heiligabend abhängen lassen. Aber so leicht lässt der wort- und weltgewandte Bisy sich nicht einwickeln und zum Essen degradieren. Sein Name ist nicht nur onomatopoetisch, also lautmalerisch zu verstehen. Die flotte Stubenfliege ist sehr umtriebig, also busy, weiß von Supermärkten voller Köstlichkeiten für jeden Krabbeltiergusto unter der Spüle zu erzählen, gibt Tipps für festliche Dekoration und ist eine hervorragende Netzwerkerin. Und in 24 Tagen im Advent kann viel passieren und sich viel ändern.

Kai Pannen erzählt in seiner cartoonesk illustrierten Adventsgeschichte von einer außergewöhnlichen Freundschaft. Einer unmöglichen eigentlich. Denn die Spinne hängt immer nur auf ihrem Sofa ab und bekommt nichts mit von der Welt. Das liegt an ihrem fesselnden Wesen und ihren für alle anderen extrem ungesunden Ernährungsgewohnheiten, die bisher jede Kontaktaufnahme scheitern ließen. Selbst Karl-Heinz‘ Tante Kassandra würde ihn nach Spinnenart bei Gelegenheit als Zusatzhappen goutieren, was das Verhältnis zu ihr doch sehr distanziert macht.
So verlässt Karl-Heinz nur selten das Netz, verputzt Unmengen von Süßigkeiten, bekommt Zahnschmerzen, weiß aber weder, dass es überhaupt einen Zahnarzt gibt, der ihn von seinen Schmerzen erlösen könnte, noch wo der zu finden ist. Bisy hingegen kennt sich aus und erzählt der Spinne von dem Zahnarzt, der am goldenen Bilderrahmen praktiziert. Karl-Heinz’ Kommentar: „Typisch, so eine teure Gegend kann sich auch nur ein Zahnarzt leisten.“ So locker und witzig geschrieben ist diese Adventsgeschichte, deren 24 Kapitel vom 1. Dezember bis Heiligabend zum Vorlesen einladen, wirklich ein großer Spaß, süß, aber nicht so zuckrig und wesentlich inhaltsreicher als jeder Adventskalender.

Wer jetzt meckert – „Das ist doch total unrealistisch!“ –, dem sage ich nur: Hey, das ist keine biologische Abhandlung über die Interaktion von Insekten und Spinnentieren, obwohl manche Details stimmig sind. Aber die Originalgeschichte vom Christkind erhebt auch nicht Anspruch auf historische Exaktheit, ganz abgesehen von den Abwandlungen mit Weihnachtsmann, fliegendem Rentierschlitten und Overnight-Express-Lieferung durch den Kamin. Eine Adventsgeschichte soll die Wartezeit auf Heiligabend verschönern, sie soll aufheitern, glücklich machen und an das Gute in der Welt glauben lassen. Und das gelingt Kai Pannen ganz famos!

adventBei jeder Neuerscheinung aus dem brillanten aracari Verlag sind meine Erwartungen hoch. Vor fünf Jahren starteten die Schweizer mit dem berührenden koreanischen Bilderbuch Abschied von Aika. Zwei Jahre später landete aracari einen absoluten Bestseller mit dem kunterbunten Gefühlskaleidoskop Heute bin ich der Niederländerin Mies van Hout. Auch Guido van Genechtens knuffiger Schneemann Ben hat bei den Eidgenossen seine verlegerische Heimat gefunden. Und jetzt gesellt sich mit Der kleine Christbaum die Belgierin Ruth Wielockx dazu, übersetzt von Martin Rometsch.

Die Geschichte von dem noch jungen Nadelgewächs, das auch endlich zum Zuge kommen möchte, ist niedlich. Der kleine Baum beneidet seine großen Freunde, werden diese doch zum „Bäcker-Christbaum“, „Metzger-Christbaum“ oder „Marktplatz-Christbaum“. Da möchte der Kleine natürlich mithalten. Zum Glück kommt schließlich der Weihnachtsmann persönlich vorbei und überträgt ihm quasi die Hauptrolle für Christbäume …
Das ist ganz schön, aber auch etwas schade, denn die Story hätte mehr Potenzial gehabt. Auch dass die Bäume alle Gesichter haben, die an altmodische Bilderbuchsonnen erinnern, wirkt etwas behäbig.
Allerdings ist es fast schon mutig, und das sage ich als überzeugte Atheistin, heute politisch unkorrekt von einem Christbaum zu sprechen und potenzielle Käufer abzuhalten, vielleicht aber auch andere umso mehr anzusprechen… Der Originaltitel lautet De kleene kerstboom, also eigentlich„Der kleine Weihnachtsbaum“, aber „Christbaum“ klingt natürlich auch weniger hölzern als Weihnachtsbaum oder womöglich „Jahresendzeitgewächs“.

Dieses putzige Bilderbuch passt trotzdem sehr schön zum Thema Weihnachten, illustriert es doch ganz vortrefflich, dass zu hohe Erwartungen die Freude trüben können.

Elke von Berkholz

Kai Pannen: Du spinnst wohl!, Tulipan Verlag, 2015, 99 Seiten, ab 4,14,95 Euro

Ruth Wielockx: Der kleine Christbaum, Übersetzung: Martin Rometsch, aracari Verlag, 2015, 32 Seiten, ab 4, 13,90 Euro