Tom Llewellyn hat einen speziellen Humor. Schon sein Kinderbuch Das Haus, in dem es schräge Böden, sprechende Tiere und Wachstumspulver gibt steckt voller Absurditäten und macht großen Spaß, egal, ob man die Geschichte selber liest oder vorliest. Nun also ein Jugendbuch. Ein Thriller. Tick Tack Tot, übersetzt von Nina Scheweling. Ist der Titel ernst gemeint?
Seth Anomundy lebt mit seiner Mom Eve in einer Gegend, in der man sich nachts nicht unbedingt allein auf die Straße traut. Doch es gibt Ankerplätze: den Boxclub von ChooChoo, der mit Seths Mutter verbandelt ist und der Seth das Boxen beigebracht hat. Den Uhrenladen von Mr Nadel, bei dem sich Seth mit Botendiensten ein paar Dollars verdient. Das Shotgun Shack, in dem Miss Irene das Sagen hat und in deren Küche Seth dem Kochen fröhnt. Das Guinevere´s, wo ihm Nikki beibringt, wie man richtig guten Kaffee komponiert. Den Buchladen King´s Books mit seiner Riesenauswahl an Graphic Novels. Und selbst die Schule ist ein Ort, an dem sich Seth wohlfühlt.
Das Leben hat sich eingespielt. Eve hat vier verschiedene Putzjobs, nachts, und manchmal bricht sie tagsüber aus, kauft teure Klamotten, streitet mit Inbrunst, will das Leben spüren. Seth dagegen ist ruhig, verlässlich und wirkt ernster als andere Jugendliche in seinem Alter. Und dann steht die Polizei vor der Tür. Mom ist tot, man hat sie vor dem Boxclub in ihrem Jeep gefunden. Zunächst wird Drogenmissbrauch vermutet — was auch sonst, wenn man schwarz ist und auf dieser Seite der Stadt lebt —, dann findet man toxische Substanzen im Leichnam. War es Selbstmord? Oder Mord? Die Polizei scheint nicht allzu engagiert, also beginnt Seth, auf eigene Faust zu ermitteln.
„Fang mit dem Einfachsten an“, rät ChooChoo. So beschließt Seth als Erstes, die Schule zu schwänzen. Dann tastet er sich an die Arbeitgeber seiner Mutter heran, versucht, ihre letzten Stunden zu rekonstruieren. Er spricht mit den Gästen im Shotgun Shack — und sucht intensiv nach Miss Irene. Sie und seine Mom hatten Streit, jetzt ist Irene verschwunden, spurlos, niemand weiß etwas. Gibt es einen Zusammenhang mit Eves Tod?
Die Nachforschungen kosten Kraft. An Seths Seite ist Azura Lear (LLewellyn hat ein Händchen für Namen), eine Mitschülerin, reich und schön, eigentlich verbandelt mit Erik, doch sie interessiert sich für Seth. In dem Mädchen aus gutem Haus, zu deren Ahnen angeblich der Sekretär George Washingtons zählt, steckt mehr Power, als vermutet. Mit ihr kann Seth sprechen, sie arrangiert für ihn ein Treffen mit der Schulseelsorgerin, organisiert die Beerdigung seiner Mutter.
Das Ende der Geschichte ist überraschend und soll hier nicht verraten werden. Bis dahin wird gekämpft, es gibt Verdächtige und falsche Spuren, ein zweiter Toter wird gefunden. Es ist aber kein thrill auf ganzer Strecke, wir begleiten Seth, mitfiebern tun wir nicht, denn es gibt immer wieder Passagen, die sich vom eigentlichen Geschehen lösen. Das Ganze ist solide konstruiert und liest sich in einem Rutsch ohne literarische Finessen.
Was mich jedoch besonders überzeugt, ist das psychologische Moment. Seth, der ohne Vater aufwächst und seine Mutter aufrichtig liebt, nimmt gefangen. Er ist unglaublich sympathisch, realistisch, mutig und sensibel. Seine Beharrlichkeit, sein Netzwerk, seine Kombinationsgabe helfen ihm, den Fall zu lösen. Seine Bodenhaftung ist das beste Rüstzeug, um in (s)ein neues Leben zu starten.
Heike Brillmann-Ede
Tom Llewellyn, Tick Tack Tot, Übersetzung: Nina Scheweling, Thienemann Verlag 2016, 224 Seiten, ab 13, 12,99 Euro