I <3 Großstadttiere

tiereDie Großstadt ist ein Dschungel – altbekannt ist das allemal. Auch dass sich nicht nur Menschen, sondern jede Menge Tiere in der Stadt herumtreiben ist eigentlich nicht besonders neu. Skurrile Nachrichten über Vierbeiner schwirren spätestens im Sommerloch wieder durch die Medien.

Doch nun hat die Künstlerin Nadia Budde unsere tierischen Nachbarn auf eine ganz schräge Art gewürdigt und zwar im Buch Großstadttiere. Darin stellt sie 24 Tierarten vor, die die großen Städte wie New York, Zürich, Berlin, Neu Delhi, Bukarest bevölkern. Sei es Waschbär, Fuchs, Schabe, Regenwurm oder Wildschwein, zu jedem Tier erzählt sie eine kleine, zumeist sehr ungewöhnliche Geschichte. Außer bei den Schaben. Zu diesen Krabbeltieren, die in ihren I-love-Stadtname-T-Shirts die Metropolen der Welt stürmen, gibt es scheinbar nichts zu sagen. In allen anderen Geschichten steckt ein wahrer Kern, manches ist aber auch wunderbar gaga – beispielsweise die Therapiegruppe der Großstadtregenwürmer. Man bekommt sofort Mitleid mit den Sitzriesen und möchte ihren zu Hilfe eilen und gleich mal den Asphalt aufreißen. Auch das Schicksal der Pariser Ratten ist herzergreifend, doch zeigt sich hier vor allem der Sprachwitz, mit dem Budde ihre Texte würzt.

Nadia Budde verleiht den Tieren nicht nur ein persönliches Gesicht, sondern gleich einen ganzen Charakter. Die Eigenwilligkeit der Fledermäuse in Austin/Texas ist fast ein Symbol für die Eigenwilligkeit dieses Bilderschatzes. Dick schwarz umrandet kommen Tiere und auch Menschen daher. Vor zitronenfaltergelben, taubenblauen, eichhörnchenroten, regenwurmrosanen Hintergründen schauen sie lieb, treuherzig, fies, hinterhältig, harmlos, naiv, freundlich, verschlagen, böse, treudoof, traurig, genervt … und dem Leser und Betrachter geht das Herz auf. Man hat sie auf einen Schlag alle lieb – auch die Wölfe aus Moskau, die die Einkaufstüten plündern.

Ganz nebenbei hält Budde dann noch einen Kurs in gelingender Fotografie ab, indem sie einen Exkurs über das Phänomen „Turm auf dem Kopf“ als Folge des Fototourismus einbaut. Sie braucht nur ein paar wenige Sätze und fünf Illustrationen dazu – und mit Sicherheit wird keiner der Leser danach mehr Fotos mit solchen Auswüchsen schießen. Genialer geht’s kaum.

Großstadttiere ist ein herrlich schlauer Spaß, der mit viel Herz alle Bewohner der Städte würdigt und ihnen ihren Raum zugesteht. Die Menschen ermahnt die Autorin mit einem Augenzwinkern, ab und an das Auto stehen zu lassen und stattdessen das Fahrrad zu nehmen – und vielleicht doch mal auf fiese Taubenspikes zu verzichten. In diesem Sinne ist Großstadttiere ein grandioses Bilderbuch für jedes Alter.

Nadia Budde: Großstadttiere, Jacoby & Stuart,  2013, 140 Seiten,  ab 9, 18 Euro

Kunterbunter Erkenntnisgewinn

fabelhafte Entdeckung Ranga Yogeshwar34 Sätze. Mehr stehen nicht in diesem Buch. Gut, es ist ein Bilderbuch, da braucht man meist nicht viele Sätze. Aber diese 34 Sätze reichen aus, eine der universellen Weisheiten auf eine herzallerliebste  Weise zu erzählen.

Der Physiker und Fernsehmoderator Ranga Yogeshwar hat zusammen mit der Illustratorin Nina Dulleck ein indisches Märchen in das lebenskluge Bilderbuch Die fabelhafte Entdeckung einer kleinen Weisheit von großer Bedeutung verwandelt. Darin ziehen die beiden Hunde Kala und Lakshimi durch den Wald. Kala ist klein und ängstlich. Lakshimi stolz und furchtlos. Sie kommen an einen Tempel und im Inneren erleben sie Sonderbares. Kala trifft dort lauter knurrende Hunde, die ihn fürchterlich anfletschen. Als Lakshimi jedoch hineingeht begegnet sie nur netten schwanzwedelnden Artgenossen. Die Auflösung ist großen und auch kleinen Lesern, wie ich neulich beim Vorlesen feststellen musste, natürlich sofort klar: Die Hunde stehen in einem Spiegelsaal. Und der wird zum Sinnbild unseres Sprichwortes „Wie es in den Wald hineinschallt, schallt es hinaus“.

Ist diese Geschichte an sich schon eine ganz wunderbare Fabel, so wird sie durch die Illustrationen zu einem wahrlich fabelhaften Kunstwerk. Bereits das erste der doppelseitigen Bilder versetzt den Betrachter in den indischen Dschungel – und macht klar, dass es sich lohnt, ganz genau hinzuschauen. In dem grünen Blattwerk lauert nicht nur der Tiger, sondern flattern Schmetterlinge und andere großäugige Insekten zwischen wunderschönen Blumen. Im Hintergrund schimmern märchenhafte Paläste. Flora und Fauna werden immer vielfältiger und exotischer, ganz allmählich schleicht sich ein Elefant ins Bild, hangelt sich ein Affe herab. Es ist eine Wonne. Die beiden Helden sehen zudem so knuffig aus, dass man sie auf der Stelle adoptieren möchte. Und wenn am Ende noch Chamäleon, Pfau und Tapir Lakshimis liebvoll vorgetragener Moral lauschen, hat man sein Herz vollends an dieses Bilderbuch verloren und freut sich ungemein aufs erneute Vorlesen und Entdecken.

Ranga Yogeshwar/Nina Dulleck: Die fabelhafte Entdeckung einer kleinen Weisheit von großer Bedeutung. Ein indisches Märchen, Fischer Schatzinsel, 2012, 32 Seiten, Kindergartenalter, 14,99 Euro

Suppenglück und Märchenmacht

suppe satt es war einmalJetzt ist es draußen wieder dunkel, grau und ungemütlich, da braucht der Mensch etwas Warmes. Sowohl für den Leib, als auch für die Seele. Suppe ist bekanntermaßen ideal für den Leib und wärmt so richtig schön durch. Die Seele findet immer wieder in Märchen Trost und Erbauung. Eine Kombination aus beiden ist also die perfekte Winterwohltat – und die findet man in dem Bilderbuch von Kristina Andres: Suppe, satt, es war einmal.

Mathilda lebt mit ihrer Mutter im Wald. Draußen heulen die Wölfe und würden am liebsten Ziegen und Hühner fressen und die Kinder aus dem Dorf rauben. Doch Mathilda hat keine Angst vor den Wölfen, auch als ihre Mutter weit weg zur Königin muss und das Mädchen für einige Zeit allein lässt. Denn Mathilda hat von ihrer Großmutter drei mächtige Worte gelernt: „Suppe“, „satt“ und „es war einmal“. Und so kocht sie am Abend einen großen Topf Linsensuppe mit Speck, füllt die Wölfe damit ab, dass die so satt sind, dass sie weder Ziege noch Huhn anrühren. Danach erzählt das Mädchen den struppigen Vierbeinern eine Geschichte.  Erst am nächsten Morgen schickt sie die Wölfe fort. Nur der kleinste versteckt sich unter Mathildas Bett und will nicht mehr raus.

So geht es nun Abend für Abend, bis schließlich alle Wölfe unter Mathildas Bett stecken. Sie stellt fest, dass es so nicht weitergehen kann. Also packt sie die Wölfe unter ihren warmen Wintermantel und verteilt die gebändigten Tiere im Dorf. Nachbarn, die sich weigern einen Wolf aufzunehmen, droht sie damit, ihn wieder in die Kälte zu entlassen, wo er wieder wild und feindselig werden würde. Dieses Risiko will natürlich kein Dorfbewohner eingehen.

Winter, Wölfe, Ziegen – man denkt natürlich unweigerlich an das Grimm’sche Märchen Der Wolf und die sieben Geißlein. Und wird dann von Kristina Andres mit einer ganz feinen und sehr leckeren Märchen-Variation überrascht. Ihre federleicht gezeichneten und anheimlig kolorierten Bilder versetzen den Betrachter in eine kuschelige Winterhütte, in der es jede Menge zu entdecken gibt. Denn Mathildas Häuschen beherbergt jede Menge Bewohner, und die machen es sich in allen möglichen Ecken und Winkeln bequem. Der alte Holzofen, auf dem die Suppe überkocht, verbreitet eine behagliche Wärme, die an den Wänden aufgehängten Kräuter und Tannenzweige verströmen würzigen Duft. Man kann die Wölfe verstehen, die sich vor dem Fenster drängen, dass sie in dieses kleine, behagliche Winterparadies möchten. Die Frechheit der Miniziege, die die Eindringlinge schließlich mit Äpfeln beschießt, nehmen sie dafür stoisch – oder sollte man sagen, pappsatt – in Kauf.

Suppe, satt, es war einmal von Kristina Andres geht ans Herz, wärmt das Gemüt und hat das Potential, zur Lieblingsspeise in Sachen Vorlese-Bilderbücher bei den Kindern zu werden. Denn an den Bildern kann man sich gar nicht satt sehen, immer findet man etwas Neues, und dass Mathilda den allerkleinsten Wolf schließlich „Hund“ tauft, fügt diesem Märchen einen menschheitsgeschichtlichen Aha-Effekt hinzu, der einfach genial ist.

Kristina Andres: Suppe, satt, es war einmal, Bloomsbury Verlag, 2012, 32 Seiten, ab 3, 14,99 Euro

Auf den Hund gekommen

fünf Hunde im Gepäck Eva Ibbotson

Eigentlich ist Henry zu beneiden: Seine Eltern sind reich, er lebt in einem großen Haus und bekommt alles, was er nur will. Und dennoch. Henry ist zutiefst unglücklich. Denn in diesem großen Haus mit all dem Spielzeug gibt es überhaupt nichts Lebendiges. Und so wünscht er sich zu seinem zehnten Geburtstag nichts sehnlichster als einen Hund. Sehr zum Leidwesen seiner Mutter, die Flecken und Hundehaare fürchtet und den Gestank eines solchen Tieres nicht verkraften kann.

Als ein als Hund verkleideter Entertainer Henry an seinem Geburtstag aufheitern soll, ist es mit der Geduld des Jungen vorbei. Er wirft den Menschen raus und verweigert fortan das Essen. Henrys Vater, der ständig auf Geschäftsreise ist, leiht für Henry einen Hund aus – in der Annahme, dass der Junge nach dem Wochenende das neue „Spielzeug“ wieder satt habe. Doch da irrt er sich gewaltig. Henry, der sich bei „Rent-a-Dog“ einen Vierbeiner aussuchen darf (ohne zu wissen, dass es nur für zwei Tage ist), verliebt sich auf den ersten Blick in Fleck, eine schnuckelige und aufgeweckte Promenadenmischung. Als Henry nach dem Wochenende merkt, dass die Mutter Fleck heimlich weggebracht hat, fasst er einen Entschluss: Er muss Fleck befreien. Denn ohne ihn will er nirgendwo mehr hingehen.

Bei Rent-a-Dog hilft derweil Pippa für ihre kranke Schwester aus. Sie kann nicht verstehen, dass Hunde hier nur auf Zeit gemietet werden. Ihr tun die Tiere extrem Leid – und als Henry plötzlich in der Tür steht und sich Fleck schnappt, ist die Wut des Mädchens so groß, dass sie die Türen von Raum A auflässt, in dem fünf weitere Hunde untergebracht sind. Die wiederum, ein Bernhardiner, ein Collie, eine Pudeldame, ein Pekinese und ein Nackthund, haben Fleck ebenfalls ins Herz geschlossen, und rennen ihm hinterher. Nur der Nackthund bleibt zurück, weil der ohne seine Wärmflasche nirgendwohin geht.

Henry, der plötzlich fünf Hunde am Hals hat, ist von der Situation völlig überfordert. Zum Glück steht ihm Pippa bei und gemeinsam machen sich die Kinder mit den Tieren nach Nordengland auf. Dort wohnen Henrys Großeltern, die ihn mit Fleck ganz sicher aufnehmen werden. Doch auf dem Weg dahin müssen die Kinder und die Vierbeiner sich vor Privatdetektiven (die Henrys Vater losgeschickt hat), geldgierigen Verbrechern (die es auf die Belohnung von Henrys Vater abgesehen haben) und bissigen Kampfhunden in Sicherheit bringen.

Gleichzeitig findet auf dem Weg jeder der Hunde ein neues Zuhause, das seinem Naturell perfekt entspricht. Und Henry überzeugt seine Eltern schließlich, dass er nicht noch mehr totes Spielzeug braucht, sondern einen lebendigen Freund.

Eva Ibbotson hat mit Fünf Freunde im Gepäck eine Hundegeschichte abgeliefert, die Lassie und den 101 Dalmatinern den Rang ablaufen könnte. Charmant nimmt sie die Konsumgesellschaft aufs Korn, die sich selbst Hunde als Accessoire auf Zeit ausleiht, um wie auch immer vor anderen gut dazustehen, oder die ihre Kinder mit Sachen überhäuft, ohne die wirklichen Wünsche zu erfüllen. Daraus entwickelt sie eine rasante, urkomische und total liebevolle Abenteuergeschichte, die man in einem Zug verschlingt. Schön ist dabei zudem, dass sie die verschiedenen Charaktere der Hunde genau aufschlüsselt und sie zu eigenständigen Figuren werden lässt. Wie im richtigen Leben eben. Dieses Buch ist wunderbar kurzweilige Unterhaltung, nicht nur für Hundebesitzer. Doch Achtung: Nach diesem Buch steigt die Lust, sich sofort einen Hund anzuschaffen!

Eva Ibbotson: Fünf Hunde im Gepäck, Übersetzung: Sabine Ludwig, dtv, 2012, 304 Seiten, ab 9, 12,95 Euro