2012 mausert sich zum Jahr der Jubiläen: 50 Jahre Gutenachtgeschichten am Telefon von Gianni Rodari, im Dezember jähren sich die Hausmärchen der Brüder Grimm zum 200sten Mal, und dieser Tage feiert Räuber Hotzenplotz von Otfried Preußler seinen 50sten. Jetzt könnte man denken, dass der Räuber in die Jahre gekommen ist – doch mit der aktuellen Auflage der dreibändigen Kasperlgeschichte hat man viel mehr den Eindruck, er hätte sich einer Frischzellenkur unterzogen. In der Automobilbranche wird so etwas „Facelift“ genannt.
Was ist passiert? Die Geschichte um Großmutters gestohlene Kaffeemühle, Kasperls und Seppels Unternehmung, den Räuber zu fangen, ihre Begegnung mit dem großen und bösen Petrosilius Zwackelmann sowie die fabelhafte Befreiung der Fee Amaryllis hat sich natürlich nicht verändert. Einer Zeitreise gleich in die 1970er Jahre fieberte ich auch jetzt mit den beiden Freunden bei ihren gefährlichen Abenteuern mit, kicherte über Kasperls Namensverdrehungen von Zeprodilius Wackelzahn, Eprolisius Dackelschwanz und Spektrofilius Zaschelschwan, hatte kein Mitleid mit dem widerborstigen Zauberer, sondern war erneut ganz fasziniert von dem goldenen Kleid der Fee und ihrer wilden Haarmähne.
Letztere ist nur auf den Illustrationen von Franz Josef Tripp zu sehen. Diese gab es auch in meiner Uralt-Ausgabe schon, und sie waren damals schon einprägsam und emotional aufwühlend: die großen, nackten Käsemauken von Hotzenplotz als Verkörperung des Unholds schlechthin, die Warzen auf Zwackelmanns Nase auf den Punkt gebrachte Verschlagenheit, Seppel in kurzen Lederhosen für mich als Norddeutsche ein ganz klares Zeichen, dass ich zum Glück weit weg vom Einzugsgebiet des Räubers wohnte. Heute würde man all dies wohl ikonografisch nennen. Jedenfalls trugen diese Zeichnungen dazu bei, dass ich nie eine andere Darstellung des Hotzenplotz’ und seiner Mitstreiter ertragen konnte.
Und nun das: Alles ist bunt! Kunterbunt! Sehr liebevoll und anheimelnd hat Mathias Weber Tripps Illustrationen koloriert. Endlich ist Kasperls Zipfelmütze richtig rot, und das grüne Hemd des Räubers passt wie die Faust aufs Auge. Petrosilius in magisches Blau zu kleiden lag vielleicht auf der Hand, aber mit den grünen Nuancen scheint sein Zaubermantel schier seidig zu glänzen. Die Fee strahlt natürlich in blendendem Goldgelb. Und der Wald … der Wald wird zu einem sonnendurchschienen Traumort, in dem eigentlich gar kein böser Räuber hausen kann. Die Illus treten in ihrer neuen Plastizität förmlich aus dem Buch heraus. Die Farben unterstreichen die Charakterzüge der Figuren aufs treffliche. Ein schöneres Geschenk hätte man dem Räuber und seinem Schöpfer wohl nicht machen können.
Eine weitere Neuerung für mich sind passenderweise die Hörspiele zum Räuber Hotzenplotz, die jetzt in einer Hörspielbox noch einmal gesammelt bei Universal Music erschienen sind. Dietmar Bär leiht darin dem Titelhelden sein überzeugend gutmütig-böses Sprachorgan, Johanna von Koczian würde ich als Großmutter sofort adoptieren, und Ilja Richter macht Zwackelmann noch unsympathischer, als der eh schon ist. Die Erzählerstimme von Peter Striebeck beruhigt die aufgewühlten Gemüter jedoch sofort wieder. Und Kasperls Lachen – aus dem Mund von Oliver Reinhard – ist einfach nur ansteckend. Auch das ist zum 50. Jubeltag von Hotzenplotz eine fesselnde und gelungene Umsetzung von Preußlers Meisterwerk. Denn dieser Hörspaß verbindet sich mit den frisch eingefärbten Illustrationen der Bücher zu einem sehr sinnlichen (Lese-Hör-und-Seh-)Genuss und gehört einfach in jeden Haushalt mit Kindern!
Otfried Preußler: Der Räuber Hotzenplotz, Thienemann Verlag, 2012, 120 Seiten, ab 6, 12,95 Euro.
Otfried Preußler: Der Räuber Hotzenplotz – die große 6 CD-Hörspielbox, 6 Audio-CDs, Universal Music, 2012, 340 Minuten, Sprecher: Dietmar Bär; Ilja Richter; Johanna von Koczian; Peter Striebeck u. a. , ab 5, 19,99 Euro