London calling…

ashton place 2Fortsetzung sind ja manchmal so eine Sache. Die Erwartungen sind hoch, die Fallhöhe auch. Umso schöner, wenn sich auch in einem zweiten Teil das gleiche Gefühl und die gleiche Wonne wie beim Vorgänger einstellt. So geschehen gerade bei Maryrose Woods Fortsetzung von Das Geheimnis von Ashton Place.

In Teil zwei, Die Jagd ist eröffnet, reist Penelope Lumley, Gouvernante und Swanburne-Mädchen aus vollem Herzen, mit den drei Unerziehbaren Alexander, Beowulf und Cassiopeia, nach London. Dort will Penelope ihre ehemalige Erzieherin Miss Mortimer treffen. Diese hat der 15-Jährigen einen Hixby-London-Reiseführer geschickt, der sich mit seinen Berg- und Naturbildern als überaus merkwürdig und wenig hilfreich erweist. So irrt Penelope nach der Ankunft in der Großstadt durch die schmutzigen Gassen und findet den Weg in die vornehme Muffinshire Lane nicht, wo ihre Arbeitgeber Lady Constance und Lord Frederick eine hochherrschaftliche Villa angemietet haben.

Hilfe bietet ihr schließlich der junge Theaterschriftsteller Simon Harley-Dickinson, der sich im Laufe von Penelopes London-Aufenthalt zu einem unverzichtbaren Freund entwickelt. Zuvor jedoch haben die drei Kinder eine unheimliche Begegnung mit einer alten Wahrsagerin, die beim Schicksal der Unerziehbaren erschreckt ihre Sachen zusammenpackt und das Weite sucht, nachdem sie geheimnisvoll prophezeit hat: „Die Jagd ist eröffnet.“

Penelope jedenfalls ist fest entschlossen, ihren Schützlingen die Sehenswürdigkeiten und kulturellen Höhepunkte der britischen Hauptstadt näherzubringen: Buckingham Palace, die Parks, das British Museum, in dem ihr der Hixby die Abteilung 17 „Übermäßiger Symbolismus in historischen Porträts von untergeordneter Bedeutung“ ausdrücklich ans Herz legt, sowie eine Theaterveranstaltung im Westend. Zudem trifft sie sich mit Miss Mortimer im angesagtesten Hotelrestaurant der Stadt. Und die alte Erzieherin warnt Penelope, ohne genau zu sagen, vor was eigentlich. So entwickelt sich der London-Trip zu einem mysteriösen Abenteuer, bei dem die junge Gouvernante langsam erahnt, dass  hinter der Herkunft der Kinder, aber auch ihrer eigenen, etwas Größeres stecken muss.

Alexander, Beowulf und Cassiopeia, die mittlerweile annähernd gutes Benehmen erlernt haben, fallen hin und wieder in ihre alten Jagdgewohnheiten zurück. Sie belagern die Bärenmütze von einer der Palastwachen, helfen im Zoo bei der Elefantenpflege, jagen in der Theateraufführung einen Papagei und sabotieren das ganze Spektakel. Im British Museum allerdings stellt Beowulf überaus fachmännisch fest, dass eines der Bilder auch auf dem Dachboden von Ashton Place zu finden ist.

Und also ob das nicht schon genug Aufregung wäre, erleben auch die Herrschaften von Penelope durchaus Schreckliches: Lady Constance, die sich auf all die gesellschaftlichen Empfänge und Einladungen gefreut hat, katapultiert sich ins Society-Abseits, als sie unangemessen verkleidet zur Prämiere des Theaterstücke „Piraten auf Urlaub“ erscheint.   Für die Klatschpresse ein gefundenes Fressen, für Lady Constance der Absturz.
Ihr Gatte Lord Frederick hingegen entpuppt sich als ein Mensch, der ohne seinen Almanach, in dem die Mondphasen verzeichnet sind, nicht leben kann. Als dieses wichtige Büchlein verschwindet und gerade einmal wieder Vollmond ist, gebärdet sich der Lord höchst merkwürdig, heult, bellt und kratzt sich an Türrahmen, als würde ein Wolf in ihm stecken.

Die Jagd ist eröffnet ist ein kurzweiliges, extrem unterhaltsames Abenteuer in einer großen Stadt, mit einer überaus liebenswerten Penelope, die sogar überlegt, mit ihrer launischen Herrin Freundschaft zu schließen. Kulturelles vermischt sich mit Kulturkritik, die zwar den erwachsenen Lesern eher offensichtlich sein wird als den jungen. London-Kenner haben Wiedererkennungsmomente, London-Neulinge bekommen erste Hinweise auf die Sehenswürdigkeiten. Neben den vielen Irrungen und Aufregungen sind jedoch die Anspielungen auf Herkunft und verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Penelope, den Kindern und Lord Frederick viel wichtiger. Und gerade all diese Andeutungen machen mich schon ganz kribbelig, wie dieses Geheimnis von Ashton Place wohl ausgehen mag. Bleibt nur zu hoffen, dass Band 3 nicht allzu lange auf sich warten lässt.

Maryrose Wood: Das Geheimnis von Ashton Place – Die Jagd ist eröffnet, Übersetzung: Eva Plorin, Thienemann Verlag, 2012, 336 Seiten,  ab 11,  12,95 Euro

 

Unerziehbar

Penelope Lumley ist zwar erst 15 Jahre alt, doch sie ist von ganzem Herzen Gouvernante. Schließlich wurde sie im renommierten Swanburne-Institut für kluge Mädchen aus armen Verhältnissen dazu ausgebildet und hat als Klassenbeste abgeschnitten. In ihrer ersten Stellung im noblen Herrenhaus Asthon Place werden ihr drei ganz besondere Kinder anvertraut. Sie heulen wie die Wölfe und jagen mit Vorliebe Eichhörnchen. Penelope brennt darauf, den Kindern ihre Lieblingsgedichte vortragen zu können, sie in Französisch und Latein zu unterrichten, ihnen die Unterschiede zwischen barocker und romantischer Musik zu erklären und Aquarelle mit ihnen zu malen.

Aber all dies muss erst einmal warten, denn ihre drei Schützlinge mit den Namen Alexander, Beowulf und Cassiopeia sind Wolfskinder. Der Hausherr Lord Frederick fand sie während einer Jagd auf seinen riesigen Ländereien. Und nun müssen die Geschwister zunächst die Grundregeln des menschlichen Daseins und Lebens erlernen, als da wären: sprechen, zivilisiert essen, sich anziehen und eben nicht jedem Eichhörnchen hinterherjagen.

Penelope legt eine unglaubliche Liebe und Geduld  bei ihrer Aufgabe an den Tag. Denn sie weiß, dass die Kinder nichts dafür können, in welchen Verhältnissen sie bis dahin gelebt haben. Die junge Gouvernante akzeptiert die drei vorbehaltlos und versucht mit ihrer Erfahrung aus der Hundeschulung und einem Eichhörnchen-Desensibilisierungsprogramm, sie nach und nach zu gesitteten Engländern zu machen. Doch auf dem Weihnachtsball von Lady Constance nimmt das Chaos seinen Lauf …

Der Amerikanerin Maryrose Wood, deren Gothic-Trilogie Poison Diaries seit vergangenem Jahr bei Fischer FJB erscheint, legt mit Das Geheimnis von Ashton Place eine wunderbar turbulente Geschichte vor. Sie bildet den Auftakt zu einer ganzen Reihe über die „unerziehbaren Kinder von Ashton Place“ (wie der Titel im Original lautet). Hier trifft versnobtes Getue aus dem Hochadel auf die Liebenswürdigkeit einer jungen Heldin, für die Kinder überaus ernstzunehmende Individuen sind, die es zu respektieren gilt. Dieses Buch geht ans Herz, zaubert ein Dauerlächeln auf die Lippen und ist einfach eine Wonne – die Lust auf die Fortsetzung macht.

Maryrose Wood: Das Geheimnis von Ashton Place. Aller Anfang ist wild, Übersetzung: Eva Plorin, Thienemann Verlag, 2012, 304 Seiten, ab 11, 12,95 Euro