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Katzen-Phänomenologie

katzeCat-Content genießt im Netz ja eine große Beliebtheit. Vielleicht, weil wir bei den flauschigen Vierbeinern immer auch vermeintlich menschliches Verhalten entdecken und uns in ihnen und anderen Tieren spiegeln.

Einen etwas anders gearteten Spiegel hält uns nun der amerikanische Illustrator Brendan Wenzel mit seinem Bilderbuch Alle sehen eine Katze vor, das es gerade auf die Liste der Besten 7 geschafft hat. Darin stromert ein Stubentiger durch die Gegend und wird von den unterschiedlichsten Zeitgenossen gesehen: einem Kind, einem Hund, einem Fuchs, einem Stinktier, einem Vogel, einer Maus, einem Wurm. Soweit so anscheinend sehr unspektakulär, doch natürlich gibt es einen sehr augenöffnenden Kniff. Jeder Zeitgenosse sieht die Katze auf seine ganz spezielle Art, mal mit großen niedlichen Augen, mal als dürres Gebilde, mal mit bedrohlich Riesenglubschaugen, oder nur als Punkte infolge der Echolotung durch eine Fledermaus.

Phänomenologie und Erkenntnistheorie gehören bekanntlich zu den philosophischen Disziplinen, und manchen erscheinen sie unverständlich und hochtrabend. Dass das im Grundsatz nicht so schwierig sein muss, zeigt Wenzel nun in seinem Werk mit verblüffender Einfachheit. Der Wandel der Katze in jedem Bild macht auch den jüngsten Betrachtern ganz schnell klar, dass jedes Individuum auf unserem Planeten seine ganz eigene Sicht auf die Dinge hat.
Wenzel legt mit seinen farbenfrohen Tusche- und Aquarellbildern auf diese Art sehr spielerisch ein Samenkorn in Sachen Wahrheitsfindung. Denn: Welche Katze ist denn nun die richtige? Und was zeigt der Blick der Katze im Teich auf ihr eigenes Spiegelbild? Die Wahrheit?
So muss man sich auf philosophisch geprägte Diskussionen nach der Lektüre dieses Buches einstellen. Doch genau das ist für die aggressive Debattenkultur unserer Zeit im Netz und in den Medien und im realen Leben eine überaus wichtige Fähigkeit – denn nur, wenn einem klar ist, dass jeder von uns eine andere Sicht auf die Dinge hat, kann man zum einen Toleranz entwickeln, aber auch besser gegen einseitige, totalitäre Meinungen argumentieren.

Also lest mit euren Kindern so früh wie möglich dieses Buch und philosophiert. Es macht stark und hilft, sich in einer komplexen Welt sehr viel besser zurechtzufinden.

Brendan Wenzel: Alle sehen eine Katze, Übersetzung: Thomas Bodmer, NordSüd Verlag, 2018, 44 Seiten, ab 4, 15 Euro