Geschmackvoll

Manchmal fragt man sich bei bestimmten Produkten der Kulturszene, was die Macher wohl so eingeworfen, geraucht, gesnifft oder sich womöglich gespritzt haben, während sie an dem jeweiligen Werk zugange waren. Da scheint der Wahnsinn vom Irrsinn befallen – und das wird im besten Fall zu einer sehr vergnüglichen Sache. Wie im Fall der aberwitzigen Comic-Serie Chew – Bulle mit Biss! von John Layman und Rob Guillory.

Nach der weltweiten Vogelgrippe mit Millionen von Opfern herrscht in den USA Hühnerprohibition. Sämtliche Hühnerprodukte und –speisen sind verboten, und die Lebensmittelbehörde FDA, die Food and Drug Administration, wacht scharf darüber, dass das Verbot auch eingehalten wird. Zu den Agents der FDA gehört Tony Chu. Chu ist ein so genannter Cibopath, mit anderen Worten, er schmeckt bei allen Lebensmitteln heraus, wo sie gewachsen oder hergestellt, mit was sie gespritzt, behandelt, bearbeitet wurden – oder auf welche schrecklichen Arten die verarbeiteten Tiere abgeschlachtet wurden. Chu isst daher wenig und wenn am liebsten Rote Bete, denn bei der spürt er nichts dergleichen.

Aufgrund seiner Gabe wird Chu bei der Aufklärung von Verbrechen und Morden eingesetzt. Denn sein cibopathisches Gespür hilft auch bei seltsamen Todesfällen. So muss der arme Kerl in schon lang verweste Kadaver beißen, Blut schlecken und echt widerliche Dinge in den Mund nehmen. Nichts für Zartbesaitete. In bereits vier Bänden jagt er nun schon zusammen mit seinem Partner John Hühnerschmuggler, kämpft gegen das Böse, klärt Morde auf und verliebt sich ganz neben bei in Amelia Mintz. Die Restaurantkritikerin ist Saboskripterin und besitzt die Fähigkeit alle Geschmäcker so in Worte zu fassen, dass die Leser die beschriebenen Speisen schmecken können – oder von ihren Beschreibungen das Würgen bekommen. Eine solche Gabe wünsche ich mir gerade, um den Irrwitz dieser megacoolen Comics angemessen würdigen zu können …

Die 2011 mit dem Eisner-Award als beste Comic-Serie ausgezeichnete Reihe sprüht nur so von durchgeknallten Ideen, um Lebensmittelherstellung, Hühnerwahnsinn, illegalen Eierhandel (mit dem man mehr Schotter macht, als mit Heroin-Verkäufen), außerirdischen Geschmacksbomben, Aliens und debilen Kochshows. Die Kampfszenen sind durchaus gewalttätig und das Blut spritzt bisweilen ziemlich weit, weshalb diese Comics nichts für schwache Nerven und nicht für unter 18-Jährige geeignet sind. Die Macher haben herrlich bei Filmen wie Terminator oder Pulp Fiction gewildert. Ganz sicher gibt es aber noch weit subtilere Anspielungen, für die ich aber wahrscheinlich zu ungebildet bin. Jedenfalls entdeckt man auf fast jeder Seite extrem Abstruses und Skurriles.

Wunderbar rotzig sind die Übersetzungen von Marc-Oliver Frisch, der den rüden Bullenton mit schön derben Schimpfwörtern perfekt trifft.

Neben dem Spaß an der Sache ist allerdings eine Nebenwirkung nicht ausgeschlossen: Man denkt ernsthaft nach, Vegetarier zu werden – falls man das nicht schon ist.

John Layman/Rob Guillory: Chew – Bulle mit Biss!, Band 1: Leichenschmaus, Band 2: Reif für die Insel, Band 3: Eiskalt serviert, Band 4: Flambiert, Übersetzung: Marc-Oliver Frisch, Cross Cult, 2011/2012, je 16,80 Euro

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