Der Krieg und die Kinder

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Dieser Tage vor 80 Jahren löste Nazi-Deutschland mit dem Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg aus und stürzte die Menschheit in eine Katastrophe, deren Auswirkungen zum Teil heute noch spürbar sind. Dass davon auch die Kinder betroffen waren, ist eine Binse. Wie genau jedoch das Leben der Kinder und Jugendlichen vom Krieg beeinflusst wurde, zeigen momentan zwei Bücher.
Ganz aktuell ist Darstellung der Erlebnisse des jungen Paul Haentjes, der 1943 in Köln Flakhelfer wird.
Was sich zunächst wie ein Abenteuer mit den Kameraden aus der Schule und der HJ anhört, wird bald zu einer bedrohlichen Angelegenheit.

Eine deutsche Jugend

Paul ist für die damalige Zeit »typisch deutsch« aufgewachsen. Das Regime stellt er nicht infrage, er wird mit zehn Jahren Mitglied in der Hitler-Jugend, interessiert sich für alles, was mit Militaria und der Verteidigung des Vaterlandes zu tun hat. Die Jugendlichen an den Flugabwehrkanonen konkurrieren mit anderen Flakstellungen um die meisten Abschüsse.
Doch selbst nach einem Jahr ist der ursprünglich auf ein halbes Jahr angedachte Einsatz immer noch nicht zu Ende. Die Stimmung bei Paul und den Kameraden kippt.
Paul erzählt in Briefen seinem Bruder Werner davon, und sein Ton wird im Laufe der Zeit immer sarkastischer.

Von der Front in die Kriegsgefangenschaft

So wird Paul im Krieg erwachsen, er meldet sich zum Militär, wird Soldat und noch im März 1945 an die Front nach Plauen geschickt – obwohl die Alliierten und die Russen bereits im Land sind. Schlussendlich stellt sich Paul den Amerikanern und erlebt das Ende des Krieges als Gefangener in den fürchterlichen Rheinwiesenlagern. Doch Paul übersteht auch das, vielleicht weil sein Glaube an Gott ihm Kraft gibt, vielleicht weil er einfach Glück hat. Erstaunlich ist, dass er wohl nie über seine verlorene Jugend verbitterte.

Pauls Geschichte, ein Tatsachenbericht, erzählt seine Tochter Dorothee auf eine sehr sachliche Art, die nicht bewertet. Sie druckt die erhaltenen Briefe von Paul ab, lässt ihn somit selbst zu Wort kommen, zeigt Fotos von ihm mit seinen Kameraden. Und in unzähligen Info-Kästen liefert sie Hintergrundwissen zum Leben in Nazi-Deutschland, den politischen Vorgängen, den Kriegsgeschehnissen, sodass sie jungen Leser_innen ein komplexes Bild jener Zeit vermittelt und möglicherweise deren Interesse an dem Thema weckt.
Gerade, dass Jugendliche als Helfer herangezogen wurden und noch kurz vor Kriegsende an die Front geschickt wurden, macht wieder einmal eindrücklich klar, wie verabscheuungswürdig Krieg ist – damals, heute, in Zukunft, in jeder Art, die es gibt.

Antikriegs-Kinderroman

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Die Verdammung von Krieg ist auch das Anliegen von Erika Mann gewesen, die heute vor 50 Jahren in Zürich starb. Im amerikanischen Exil schrieb sie bereits 1942 den Roman Zehn jagen Mr. X.
Darin treffen in der fiktiven kalifornischen Hafenstadt El Peso zehn Kinder aus den unterschiedlichsten Ländern im Internat »Neue Welt« aufeinander. Als Erzählerin fungiert die Journalistin »Depesche«, die als mütterliche Freundin die Kinder bei ihren Aktionen gegen Hitler und den Krieg unterstützt.
Als ein geheimnisvoller Mann in El Peso auftaucht, beginnt eine wendungsreiche Spionage-Geschichte.

Vereinte Kinder gegen das Böse

Erika Mann erzählt im Stil von Erich Kästner, stellt sich auf die Seite der Kinder und lässt einen Teil von ihnen, ihre Erlebnisse in Europa während des Krieges erzählen.
Ihre Idee, dass sich die Kinder als »Vereinte Kinder« zusammentun und ihre unterschiedlichen Wurzeln feiern und dennoch gemeinsam gegen das Böse kämpfen, ist ein Verweis auf die Bildung der Vereinten Nationen, die Anfang der 1940er-Jahre gerade im Entstehen waren.
Den Gedanken, dass man über nationale Grenzen hinweg gemeinsam gegen das Böse kämpfen sollte und so viel mehr erreichen kann, den jungen Leser_innen auf diesem Wege näherzubringen ist das große Verdienst dieses Buches.
Der Geschichte, die Erika Mann auf Englisch geschrieben hat, ist das Alter durchaus und der politische Anspruch auf jeden Fall anzumerken, weshalb die Lektüre für junge Leser_innen eventuell nicht immer ganz einfach ist. Doch ein Glossar erläutert so wichtige Begriffe wie »Fünfte Kolonne«, »Minzjulep« oder historische Persönlichkeiten wie Hirohito oder Abraham Lincoln.

Eine authentische Stimme aus der Vergangenheit gegen den Krieg

Dass Erika Mann bereits 1942, als das Ende des Krieges noch lange nicht abzusehen und die schlimmsten Gräuel noch nicht geschehen waren, so ein vehementes Dokument gegen Hitler und den Krieg verfasste, berührt mich. Sie gehört für mich so auf eine gewissen Art zu den Widerstandskämpfern – zwar aus einer anderen Position und vom anderen Ende der Welt –, die seit Jahren immer wieder gegen das Regime schrieb und agierte. Sich dabei nicht so sehr an Erwachsene, sondern an die Kinder zu richten und von deren Schicksalen zu erzählen, zeigt, dass sie die Kinder als Zielgruppe für die wesentlich verständigeren hielt. Kinder können sich anscheinend leichter über persönliche Befindlichkeiten und Ansprüche hinwegsetzen. Sie sehen die Gefahr und finden im Kampf gegen das Böse gemeinsam. Erika Mann weckt so die Hoffnung, dass die nachkommenden Generationen nicht wieder so einen Krieg anfangen.
Wer weiß, was sie heute über die herrschenden Populisten geschrieben hätte … Vermutlich nicht viel anderes.

Dorothee Haentjes-Holländer: Paul und der Krieg. Als 15-Jähriger im Zweiten Weltkrieg, arsEdition, 2019, 144 Seiten, ab 12, 15 Euro

Erika Mann: Zehn jagen Mr. X, Übersetzung: Elga Abramowitz, Rowohlt rotfuchs, 2019, 270 Seiten, ab 12, 15 Euro