Wie es sich gehört

Deutschland ist ein Land im Krieg, doch dieser Krieg findet nicht in diesem Land statt, sondern weit weg in Afghanistan. Doch wie auf der Jugendbuch-Tagung in Tutzing Anfang Juni diskutiert wurde, brauchen auch Kinder und Jugendliche ohne solche Erfahrungen Literatur über den Krieg, selbst wenn er für uns weit weg ist. Die Wissenschaft unterteilt die Kriegsromane in ganz unterschiedliche Gattungen: Frontroman, Lazarettroman, Etappenroman, Heimkehrerroman, Kriegsopferroman, Fluchtroman oder Heimatfrontroman. Für jede Facette des Grauens ist also was dabei. Fragt sich nur, was man den Kindern und Jugendlich davon zumuten soll.

Eine fast schon poetische, dafür aber nicht minder bedrückende Variante hat die Holländerin Joke van Leeuwen geschrieben. In Als mein Vater ein Busch wurde und ich meinen Namen verlor erzählt sie die Geschichte des Mädchens Toda. In einem nicht genannten Land ist im Süden Krieg ausgebrochen – „die einen kämpfen gegen die anderen“. Todas Vater wird eingezogen und lernt sich zu tarnen. Kurzfristig passt die Großmutter auf das Mädchen auf, doch dann wird es auch Zuhause zu gefährlich. Toda soll über die Grenze ins Nachbarland, wo ihre Mutter schon seit vielen Jahren lebt.

Auf dem Weg in die Sicherheit erlebt Toda die unterschiedlichsten Abenteuer: geldgierige Schlepper, eitle Generäle, pseudohilfsbreite Mütter, Großmütter, die sich nach ihren Enkeln sehnen, Deserteure, Bürokratenirrsinn. Toda erzählt von ihren Ängsten während der Flucht, schlägt sich in einem fremden Land durch, in dem eine ihr unbekannte Sprache gesprochen wird, und entlarvt bei alldem das widersinnige Verhalten der Erwachsenen, ihren unnützen Anspruch an Mut, Kraft und Stolz. Am Ende schafft Toda es zu ihrer Mutter und kann auf eine Rückkehr zu Vater und Großmutter hoffen.

Dieses schmale Buch, eine Mischung aus Flucht- und Etappenroman, ist sicherlich keine leichte Unterhaltungslektüre, dafür aber eine großartige Reflexion über kriegerisches Verhalten – nicht nur im Krieg, sondern in unser aller Alltag.

Joke van Leeuwen: Als mein Vater ein Busch wurde und ich meinen Namen verlor, Übersetzung: Hanni Ehlers, Gerstenberg Verlag 2012, 128 Seiten, ab 10, 12,95 Euro

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Über Ulrike Schimming

Ulrike Schimming übersetzt Literatur – von Kinder- und Jugendbüchern bis zu Graphic Novels und Comics – aus dem Italienischen und Englischen und arbeitet als freie Lektorin. Dieses E-Magazin entstand aus ihrer Arbeit für die Jugendzeitschrift stern Yuno. Hier stellt sie Neuerscheinungen oder Klassiker der Kinder- und Jugendbuchliteratur vor, Graphic Novels oder Buch-Perlen, denen sie ein paar mehr Leser wünscht. Weitere Infos zu Ulrike Schimming finden Sie unter www.letterata.de

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