Steampunk – oder vom Schreiben mit der Hand

Col Porpentine soll Karriere machen – jedenfalls wenn es nach dem Willen seines Großvaters geht. In ein paar Jahren soll der Junge das Kommando über den Juggernaut Worldshaker übernehmen. Auf diesem Riesen-Eisenkoloss, der sich auf Rollen über die Kontinente und durch die Meere wälzt, lebt die Viktorianische Elite auf den Oberdecks im absoluten Luxus. Col gehört dazu und muss sich eigentlich keine Sorgen machen – bis eines Tages die junge Riff auftaucht. Das Mädchen gehört zu den so genannten Dreckigen, die im Bauch des Schiffes unter unmenschlichen Bedingungen malochen. Riff ist die Anführerin der Aufständischen aus den Unterdecks und führt Col in die düstere Seite seiner Heimat ein. Der Junge schließt sich den Revolutionären an und verliebt sich in Riff…

Der australische Autor Richard Harland hat 15 Jahre an seiner extrem mitreißenden Steampunk-Geschichte gearbeitet und alles mit der Hand geschrieben. Warum, das hat er mir im Interview verraten …

Mr Harland, was fasziniert Sie daran, über eine viktorianische Alternativ-Gesellschaft auf einer Art Dampfschiff zu schreiben? Warum haben Sie sich für Steampunk und nicht für einen “normalen” historischen Roman entschieden?
Ich wuchs in einer Zeit auf, als modern sein sehr wichtig war. Alles sollte glatt, stromlinienförmig und verchromt sein. Dreckige, sonderbare, alte Maschinen gehörten der Vergangenheit an, einer schlimmen Vergangenheit. Heutzutage wirkt Verchromtes selbst schon völlig überholt. Aber was ist so schlimm an Dreckigem und Sonderbarem? Sonderbar ist schön! Ich glaube, dass sonderbare Dinge, wie alte Maschinen, Charakter haben – und das ist weitaus interessanter als Farblose, Glattes und Langweiliges. Anders als im historischen Roman kann ich bei Steampunk diese sonderbar-schönen Qualitäten einer Umgebung und einer Atmosphäre viel stärker betonen. Maschinen aus dem 19. Jahrhundert können darin noch viel mehr dampfen und qualmen, noch viel rußgeschwärzter und messinggelber aussehen, als sie es wirklich waren. Und sie können natürlich 100 Mal größer sein. Die Juggernauts in der Welt des Worldshakers sind drei Kilometer lang, sie bewegen sich auf Rollen über Land und durch das Meer. Historische Dampfschiffe sind damit nicht zu vergleichen!

Hat Jules Vernes Ihr Schreiben beeinflusst?
Nein. Da gibt es nicht den Hauch von Jules-Vernesschem Einfluss. Seine Bücher habe ich erst vor kurzem gelesen. Mich haben alte Maschinen und industrielle Szenerien einfach schon immer fasziniert. Wer mich dabei wirklich beeinflusst hat, war mein Cousin in England. Er war mein bester Freund, als ich zehn Jahre alt war, und er interessierte sich viel mehr für Mechanik als ich. Als Kinder bauten wir hinten im Garten große U-Boote, Flugzeuge und irgendwelche mechanischen Gebilde. Aber alles ganz nach unserer Fantasie. Dafür nahmen wir dann Zinkwannen, Gummischläuche, Holzplanken, verrostete Eisenstücke, Kartons und allen möglichen Abfall. Wir zeichneten Pläne von unseren eigenen Flugzeugen und Super-Vehikeln in unsere Schulhefte. Bei so einer Kindheit musste ich einfach Steampunk-Autor werden!

Sie schreiben Ihre Geschichten mit der Hand. Warum das? Was halten Sie von modernen Technologien?
Ich schreibe mit der Hand, weil ich dann nicht darüber nachdenken muss. Wenn ich auf einer Tastatur tippe, kann ich nicht so gut in meine Welt und meine Geschichte eintauchen. Die Tastatur lenkt mich ab und erinnert mich ständig an meine direkte Umgebung. Dabei habe ich nichts gegen Tastatur und Computer. Die Rechner haben mein schriftstellerisches Leben gerettet. Denn vor Erfindung der Computer schreckten die Schreibmaschinen einen richtig ab, irgendetwas zu Ende zu bringen. Alles musste beim ersten Mal richtig sein, ansonsten musste man die ganze Seite neu abtippen. Ich litt deshalb 25 Jahre unter einer Schreibblockade. Ohne die neuen Technologien könnte ich nicht mehr leben.

Könnten Sie sich vorstellen, auf Ihrem Juggernauten zu leben?
Aber sicher! Das ist ja meine Aufgabe als Fantasy-Autor – ich denke mir Dinge aus, die es nicht gibt, um sie dann so darzustellen, als ob es sie gibt. Viele Leser von Worldshaker berichten mir, dass sie beim Lesen den Eindruck bekommen, tatsächlich in diesen endlosen Korridoren, den engen Kabinen und zwischen den Spundwänden herumzulaufen – und in der höllischen Unterwelt, wo die Dreckigen zwischen Kesseln und Turbinen schuften.

Wie würden Sie das finden?
Das wäre eine schrecklich klaustrofobische und erdrückende Welt. Ich selbst würde das hassen! Aber wenn ich zu der Elite auf den Oberdecks gehören würde, wie Col, tja, dann würde ich mir keine Gedanken darüber machen, denn ich hätte ja nie etwas anderes kennengelernt.

Richard Harland: Worldshaker und Liberator, Verlagshaus Jacoby & Stuart, Übersetzung: Werner Leonhard,  je 16,95 Euro.

Ab Januar 2013 auch als Taschenbuch bei dtv, für 8,95 Euro.


Worldshaker

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