Vier Figuren suchen einen Autor

wenzelWas passiert, wenn ein etwas eigenbrötlerischer Schriftsteller und ein Kind mit Hummeln im Hintern auf einander treffen? Das kann eigentlich niemand wissen, denn das Leben und Wirken eines Schriftstellers ist zumeist ein großes Mysterium, und quirlige Kinder sind ein Garant für jede Menge Unplanbarkeiten … eine unschlagbar clevere Kombination für einen Roman, wie Nikola Huppertz beweist: Die unglaubliche Geschichte von Wenzel, dem Räuber Kawinski, Strupp und dem Suseldrusel heißt ihr Buch. Und so verwirrend wie der Titel ist auch der Inhalt. Aber das ist alles ganz wunderbar.

Wenzel muss eine Woche bei seinem schriftstellenden Onkel Nikolai (unverkennbar ein Alter-Ego der Autorin…) verbringen, weil seine Eltern eine Malediven-Reise für zwei gewonnen haben und nicht für drei. Der Junge, der mit Büchern so gar nichts am Hut hat, freut sich zwar überhaupt nicht, einfach so abgeschoben zu werden. Doch als er das Holzhaus des Onkels betritt und an der verschlossenen Ideenkammer vorbei kommt, ahnt er, dass sich dahinter ziemlich Interessantes verbirgt, das unbedingt erkundet werden muss. Denn Onkel Nikolai hat gerade mit einem neuen Roman angefangen …

Was nun beginnt, hat mich als Italianistin in gewissem Sinne an Luigi Pirandello und sein Theaterstück Sechs Personen suchen einen Autor erinnert: Hier sind es vier Figuren, der Hund Strupp, der Räuber Kawinski, die Prinzessin Melinda und das Suseldrusel, die sich vehement in das Leben von Nikolai hineindrängen. Denn so ist das beim Schreiben: Man hat eine Idee, man entwirft eine Figur und mit einem Mal entwickelt diese Figur ein Eigenleben und bestimmt, wo die Geschichte lang geht.
Nikola Huppertz illustriert dieses Phänomen mit ihrem Roman auf eine wundervoll turbulente Art und Weise. Wenzel geht mit Strupp auf Räuberjagd, erfindet eine coole Fußball-Prinzessin und stellt das ruhige Leben von Onkel Nikolai gehörig auf den Kopf.

Der Wechsel zwischen Nikolais Realität und seinen geschriebenen Texten markiert Huppertz durch wechselnde Schrifttypen, doch bald hat man als Leser die komplette Wirrnis im Kopf – die Erzählebenen verschränken sich so miteinander, dass man manchmal nicht mehr ganz durchblickt, was Wahrheit und was Dichtung ist. Aber genau das ist beabsichtigt, denn es zeigt, wie sehr Wirklichkeit und Fantasie verwoben sind – vor allen in den Köpfen von Schriftstellern. Wenn uns diese Autoren an ihren Erlebnissen und Erfahrungen teilhaben lassen, springt dieser Funke auch auf die Leser über. Das wusste schon Pirandello, als er vor fast hundert Jahren seine sechs Personen geschaffen hat.

Nikola Huppertz‘ Roman jedenfalls legt man erst wieder aus der Hand, wann alle Figuren zu ihrem Recht gekommen sind, und man ganz köstlich verwirrt und unterhalten wurde, und endlich das Mysterium, wie ein Schriftsteller denn so arbeitet, gelüftet wurde.

Von Regina Kehn, die das Cover und die Vignetten über den Kapiteln überaus zärtlich illustriert und Wenzel die traumhaftesten Mandelaugen verpasst hat, die ich je gesehen habe, hätten allerdings durchaus noch größere und mehr Bilder in dem Text sein können … aber man kann leider nicht alles haben. Und auch so ist dieses Buch ein Hauptgewinn.

Nikola Huppertz: Die unglaubliche Geschichte von Wenzel, dem Räuber Kawinski, Strupp und dem Suseldrusel, Illustration: Regina Kehn, mixtvision, 2014,  376 Seiten,  ab 10, 13,90 Euro