Muss man Tim und Struppi noch irgendwem vorstellen? Wohl kaum.
Aber erinnern und hochleben lassen kann man sie eigentlich gar nicht genug. Vor 85 Jahr erschien der erste Band von Hergés rasendem Comic-Reporter und seinem weißen Hund.
Nachdem meine Eltern in den 70er Jahren nicht viel von Micky Maus hielten – und es mich und meinen Bruder ziemlich viel Überzeugungsarbeit gekostet hatte, bis die ersten Disneys bei uns einziehen durften – war es mit Tim und Struppi ganz anders: Mir nichts, dir nichts hatten wir sämtliche Bände im Haus, sie stehen noch heute bei mir im Regal. Woran das lag, dass Hergé die elterliche Zensur so anstandslos passiert hat, weiß ich bis heute nicht. Aber ich bin auch ganz dankbar dafür, denn Tim, Struppi, Käpitän Haddock, Schulze und Schultze, Professor Bienlein, Bianca Castafiore waren aus unserem Kinderzimmer nicht mehr wegzudenken. Und Haddocks Fluchereien bildeten meine erste bewusste Erinnerung an Sprachwitz und Sprachspiel, die eigentlich auch heute noch ihresgleichen suchen.
Mit diesen Figuren bin ich dann also auf Weltreise gegangen, Amerika und Afrika fand ich zwar nicht so spannend, aber es gab ja genug Auswahl. Heute halte ich diese beiden Bände eh für die schwächeren, zumal sie mit ihrem offensichtlichen Rassismus nicht mehr tragbar sind.
Aber die späteren Abenteuer, in denen es Tim nach China, an den Amazonas, nach Arabien, Ägypten, Schottland und auf den Mond verschlägt, habe ich geliebt. Sie zeigten mir diese damals noch ziemlich fernen Länder, die neben den Schurken, Trotteln, verrückten Wissenschaftlern, Bonzen und einfachen Leuten auch immer eine eigene Rolle in den Geschichten spielten.
Heute erkennen wir sie natürlich als schlicht dargestellt, zum Teil mit Klischees behaftet, aber mir gaben sie damals ein Gefühl von Abenteuer und Aufregung und weckten meine Neugierde auf Orte, Geschichten und Lebensarten außerhalb unseres Landes. Denn neben den Schurken gab es in diesen Ländern auch immer liebenswerte Menschen und faszinierende Kulturen, die man auch im richtigen Leben entdecken sollte.
Bis jetzt habe ich im wahren Leben natürlich längst nicht all diese Länder und Kontinente bereist, schließlich bin ich kein rasender Reporter, aber Tim hat nicht wenig dazu beigetragen, dass ich mich immer wieder gern auf Reisen begebe. Seine Abenteuer waren zwar durchweg spannender, aber meine dafür echt.
Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, welche Einflüsse Hergé mir mit seinen Comics noch auf den Weg gegeben hat, so ist es ganz klar mein Faible für seinen Zeichenstil, die Ligne claire. Sobald mir heute Comics oder Graphic Novels in diesem Stil in die Hände fallen, kann ich meist nicht anders und muss sie haben. Es gibt ganz sicher jede Menge faszinierende, neue und alternative Arten zu zeichnen und zu illustrieren, und ich lasse mich auch gern auf neue Experimente ein und bin von vielen Stilen angetan – aber bei Ligne claire wird bei mir immer dieser wohlige Kindheitseffekt ausgelöst, den ich mit Tim und Struppi verbinde und den ich vermutlich mein Leben lang nicht mehr loswerde. Ich glaube, es gibt Schlimmeres… Dank an Hergé für diese perfekte Kindheitserinnerung und herzlichen Glückwunsch zum 85. Geburtstag.
Hergé: Tim und Struppi, Band 1-23, Carlsen Verlag, je 9,99 Euro