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[Gastrezension] Bildgewaltige Expedition

ShackletonAlti, Amundsen, Blackie, Bob, Bo’sun, Bristol, Brownie, Buller, Bummer, Caruso, Chips … so lauten die Namen von elf der insgesamt 69 Hunde, die Ernest Shackleton auf seine Expedition zum Südpol mitgenommen hat. Und die der junge Illustrator William Grill alle auf einer Seite mit Buntstift gezeichnet hat. Das ist nur eines der höchst interessanten und liebevoll aufgeführten Details mit denen Grill seine packende Abenteuergeschichte Shackletons Reise beginnt.

Große, imposante Figuren in Uniform oder Pelzjacke, mit Werkzeug, auf Skiern, mit Kamera und Arzttasche, der Polarforscher seitengroß in lässiger Pose und seine 27-köpfige Mannschaft, gemalt in Schwarz und Brauntönen, mit kleinen Köpfen, mit roten, spitzen Nasen und schwarzen Knopfaugen – Grill zeigt jeden einzelnen dieser außergewöhnlichen Männer, die Shackleton aus 5000 Bewerbern ausgewählt hat. Dabei achtet der kühne Seemann nicht nur auf handwerkliche Fähigkeiten oder Navigationstalent, sondern auch darauf, ob die Männer singen oder ein Musikinstrument spielen können. Das zeigt die kluge Vorausschau des Abenteurers Shackleton und wird im Verlauf der zweijährigen Reise sehr wichtig. Der 1874 als zweites von zehn Kindern in Irland geborene Shackleton wird weniger als Antarktisforscher in die Geschichte eingehen, dafür aber als außergewöhnlich mutiger und verantwortungsbewusster Expeditionsleiter.

Shackleton nimmt an Robert Scotts Discovery-Expedition Anfang des 20. Jahrhunderts in die Antarktis teil. Doch der Norweger Roald Amundsen gewinnt 1911 das Rennen und erreicht als erster den Südpol. Und Ernest Shackleton ist klar, dass „die erste Durchquerung des antarktischen Kontinents, von einer Meeresküste zur anderen über den Pol“ die letzte große Aufgabe ist. Tatsächlich wird diese Expedition eine der größten menschlichen Herausforderungen.

Am 8. August 1914 sticht die speziell für das Polarmeer umgebaute Endurance mit Shackleton und seinen Mannen von Plymouth aus in See, zunächst mit Kurs auf Buenos Aires. Am 5. Dezember ist laut Shackleton dann endlich „die lange Zeit der Vorbereitung zu Ende und das Abenteuer liegt vor uns“: Von South Georgia bricht das Schiff zu den südlichen Sandwichinseln auf. Und stößt auch gleich auf das erste Packeis.

Und man sieht ein erstes von William Grills grandiosen, doppelseitigen Panoramabildern: Eisschollen soweit das Auge reicht und ganz unten links am Bildrand, winzig klein die Endurance, die noch einige Zeit ihrem Namen „Ausdauer“ alle Ehre machen wird.

Schon bald bleibt das Schiff stecken, kompaktes Eis trennt es vom offenen Wasser. Die erste Planänderung: Die Endurance wird zum Winterlager, die Männer trainieren die Hunde auf dem Eis, jagen Pinguine, um ihre Vorräte aufzustocken, befreien das Schiff von Eisschichten, liefern sich rasante Schlittenrennen, überstehen Schneestürme, die mit 150 Stundenkilometern über Eis fegen und halten sich für alles bereit. Aber am 27. Oktober kommt es zur Katastrophe – und das tapfere Schiff (so empfindet man es mit den todunglücklichen Besatzungsmitgliedern) wird von den Eismassen zerdrückt und sinkt.

Jetzt beginnt das wirklich größte Abenteuer ihres Lebens und mit noch einigen mutigen Entscheidungen, erstaunlichem Motivationstalent und Gewaltmärschen gelingt es Shackleton schließlich, alle seine Männer zu retten und nach über zwei Jahren nach Hause zurückzubringen. William Grill erzählt nüchtern und klar und niemals heroisierend, von Harald Stadler ebenso unprätentiös übersetzt.

Shackletons Reise ist ein fantastisches Leseabenteuer mit umwerfenden Bildern, an denen man sich kaum satt sehen kann, eine ebenso unglaubliche wie wahre Heldengeschichte.

Elke von Berkholz

William Grill: Shackletons Reise, Übersetzung: Harald Stadler, NordSüd Verlag, 2015, 75 Seiten, ab 7, 19,99 Euro