Seelenqualen und Augenschmaus

steamnoirDunkle Gestalten, dunkle Machenschaften, düstere Geheimnisse, Abgründe der Vergangenheit – der zweite Teil von Steam Noir geht in die Vollen. Wurde im ersten Teil die Ätherwelt von Landsberg und das Protagonisten-Trio um den Bizzaromanten Heinrich Lerchenwald,  Forensikerin Frau D. und Ermittlungsleiter Herrn Hirschmann vorgestellt, so entspinnen sich jetzt neue Handlungsstränge. Die sorgen zunächst mal für Verwirrung und machen eine Zweit- und Drittlektüre sinnvoll. So steigert sich natürlich die Freude in diesem so megacoolen Steampunk-Comic noch länger und intensiver schmökern zu können.

Immer noch sind Lerchenwald, Hirschmann und Frau D. auf der Suche nach dem Kupferherz. Dieses Mal fällt der Verdacht auf Olivier Presteau, renommierten Prothesenhersteller, der versehrte Zeitgenossen zu Maschinen-Menschen macht – und dabei manchmal über das Ziel hinausschießt. Die Nachforschungen klären jedoch nichts, sondern werfen weitere Fragen auf. Zudem wird Lerchenwald wegen Fahrlässigkeit abgemahnt, der Leonardsbund vernichtet in faschistoider Manier Seelen, anstatt sie auf ihre Toteninsel zurückzuschicken, und die Blinden Tage sollen das Land früher als berechnet erreichen. Die weiteren Tiefgründigkeiten und den hammerharten Paukenschlag am Ende werde ich hier natürlich nicht verraten.

Ohne den ersten Band gelesen zu haben, hört sich das Ganze ziemlich gaga an – aber es passt durchaus alles zusammen und schürt erneut die Spannung, wie diese irre Geschichte wohl weitergeht. Alle, die in diese Steam-Noir-Welt einsteigen möchten, sollten dies auf jeden Fall mit dem ersten Band machen, sonst bleibt das Verständnis für diese ungewöhnliche Welt und ihre Zustände auf der Strecke.

Für Text und Story ist ab diesem Teil Verena Klinke verantwortlich. Der Plot fesselt vom ersten Panel an, die Dialoge sind  von der ersten Sprechblase scharfsinnig und stimming. Die Fußstapfen ihres Vorgängers Benjamin Schreuder füllt Verena Klinke souverän aus. Die sepia-braun-grauen Panels und Zeichnungen von Felix Mertikat faszinieren erneut in ihrer Detailgenauigkeit und Phantastik. Die Farben von Jakob Eirich setzen blutrote und fluoreszierende neongrüne Akzente und polieren die Dampfmaschinen auf überaus plastischen Hochglanz. Und Sammy the Scissors die Kleider von Frau D. entwerfen zu lassen rundet dieses visuelle Feuerwerk zu einem wohldurchdachten und perfekt durchkomponierten Gesamtkunstwerk ab.

Ergo, der zweite Band von Steam Noir übertrifft meine Erwartungen, die ich nach dem ersten hatte, um Längen. Eine extrem gelungene Fortsetzung!! Möge Band 3 nicht allzu lange auf sich warten lassen.

Felix Mertikat/Verena Klinke/Jakob Eirich: Steam Noir. Das Kupferherz, Band 2, Cross Cult, 2012, 60 Seiten, 16,80 Euro

Voll verzerrt

steamnoirDie Literatur ist voller fremder Welten. Menschen brauchen fiktive Orte, denn hier können sie ihrer Fantasie alle Freiheiten lassen, Autoren können Gott spielen, Leser sich eskapistisch aus der Realität wegträumen. Nicht jede der fiktiven Welten reizt mich oder zieht mich so in ihren Bann, dass ich tatsächlich darin eintauche. Neulich hat diese aber nach langer Zeit mal wieder ein Comic geschafft. Zuerst mit Unverständnis, dann mit steigender Faszination habe ich Steam Noir – Das Kupferherz verschlungen, Auftakt zu einer vierbändigen Steampunk-Saga.

Autor Benjamin Schreuder und Zeichner Felix Mertikat erschaffen eine düstere Ätherwelt, in der ein zerbrochener Planet schwebt. Sie beschränken sich jedoch nicht nur eine eindimensionale Steampunk-Geschichte zu erzählen, sondern flechten in die Dampf- und Ätherwelt einen Krimiplot mit den unterschiedlichsten zwielichtigen Figuren sowie eine mythische Toteninsel Vineta mit ewigwandelnden Seelen ein.

In eine Villa wurde eingebrochen und nun ermittelt ein sehr schräges Kriminalisten-Team: Heinrich Lerchenwald, ein sogenannter Bizzaromanten, der für übernatürliche Phänomene zuständig ist, der empfindsame, 2,25 Meter große Maschinenmensch Richard Hirschmann und die kühle Forensikerin Frau D. In der Villa finden sie zweierlei: Spuren einer Mädchenleiche und die einer verlorenen Seele. Scheinbar hat die Seele die Leiche, die in einem Hauskamin eingemauert war, gestohlen. Das tote Mädchen trug ein künstliches Kupferherz in der Brust. Bei einer Begegnung mit einer Seele verliert Lerchenwald eine Hand, ein unbekannter Wohltäter spendiert ihm jedoch eine hochwertige Technohand. Nach und nach kommen die drei Protagonisten einem skrupellosen Prothesenhersteller auf die Schliche, der den unsterblichen kybernetischen Organismus schaffen will. Die Auflösung des Falls wird sich in den kommenden drei Bänden entwickeln.

Vieles, nicht alles, in dieser Dampfmaschinen-Welt versteht man eigentlich erst, wenn man das Bonusmaterial studiert und dort beispielsweise die Erklärung für Aufbau der Atmosphäre (dichter Äther) und die Fortbewegungsmittel (Ätherschiffe) findet. Doch die oliv-braun-grau-gedämpften Panels mit ihren schwarzen, dynamischen Rahmen bieten in ihrer Detailfülle so viel zu entdecken, dass man diese Wissenslücken geradezu als reizvoll empfindet. So entdeckt man sonderbarste Maschinen und Waffen, Menschen und Tiere mit künstlichen Gliedmaßen, absurde Kreaturen. Sobald man nach dem Comic die Hintergründe dieser tristen, aber überaus faszinierenden Welt erfährt, blättert man mit einem „wissenden“ Blick noch mal zurück und begreift die Feinheiten dieses Universums. Die beiden Macher haben mit Steam Noir die Steampunk-Kultur um eine extrem coole grafische Umsetzung bereichert.

Einziger Wermutstropfen ist für mich jetzt nur, dass ich auf die Fortsetzung der Geschichte bis zum Sommer 2012 warten muss. Das wird hart …

Felix Mertikat/Benjamin Schreuder: Steam Noir. Das Kupferherz (Band 1), Cross Cult, 2011, 61 Seiten, 16,80 Euro