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Helden & Hochstapler

troiaEigentlich hätte alles so schön sein können. Neulich war ich vom Boje-Verlag zu einem Pressebrunch – meinem ersten – eingeladen. Dort wurde das neue Buch von Wolfgang Korn und Klaus Ensikat vorgestellt: Die Geheimnisse von Troja.
Leider hatte mich das Buch nicht rechtzeitig erreicht, ich war zudem auf einer Fortbildung gewesen und begab mich also ohne große Vorbereitung in die Verlagsbüros in Sichtweite des Gendarmenmarktes. Wahrscheinlich sind eh genug Leute dort, dass ich mich in eine Ecke drücken kann, ohne groß aufzufallen, dachte ich.

Falsch gedacht. Es war eine nette kleine Runde mit den beiden Machern des Buches, der Pressefrau vom Verlag und drei Buchhändlerinnen. Zu intim, um sich zu verstecken und den Mund zu halten. Also entspann sich ein Gespräch, ich stellte Fragen und bekam auch bereitwillig Antwort. Erst als ich am Abend in Ruhe noch einmal die Namen recherchierte, ging mir auf, dass mit Klaus Ensikat, der Doyen der deutschen Illustratorenszene neben mir gesessen und völlig unprätentiös meine schlichten Erkundigungen zu seinem Zeichenstil und seiner Arbeit beantwortet hatte. Herrje, wie peinlich. Dabei war ich mit Ensikats Hobbit-Illustrationen von 1974 aufgewachsen. Das heißt, Tolkiens Text habe ich als Kind nicht gelesen, der hat mich damals nicht interessiert, doch die Bilder habe ich geliebt und verinnerlicht. Auf den Namen des Illustrators habe ich natürlich nicht geachtet. Umso mehr hätte ich jetzt gern meine Verehrung kundgetan – eine verpasste Chance.

Daher muss ich das nun für seine neueste Veröffentlichung tun. Mit seinem bekannten Stil aus zarten Federzeichnung und Aquarellfarben illustriert Ensikat das Kindersachbuch Die Geheimnisse von Troja des Journalisten Wolfgang Korn. „Ich versuche jedes Mal, etwas Neues zu machen, und hinterher sieht alles gleich aus“, sagte Ensikat dazu. Er arbeitet mit Metallfeder, Holzgriff und Ausziehtusche. Mittlerweile wird es für ihn jedoch schwierig, die richtige Tusche in der gewünschten Konsistenz in den Läden zu finden. Die Digitalisierung fordert weitere Opfer. Doch noch ist der Computer für Klaus Ensikat keine Alternative. Die stimmungsvollen, ganzseitigen Bilder, die alle in Originalgröße abgedruckt sind, wechseln mit vignettenartigen Figuren, Waffen und Objekten aus Troia und dem alten Griechenland und erwecken den Text zum Leben.

Darin führt Wolfgang Korn sehr geschickt und nachvollziehbar in die lange und verwirrende Geschichte um den Mythos Troja (Schreibung mit j) und die archäologische Ausgrabungs- und Forschungshistorie des realen Troias (Schreibung mit i) ein. In den fiktiven Blog eines Journalisten, der von seiner Reise in die Türkei erzählt, webt er drei Hauptkapitel ein: Er fasst die Ilias von Homer und den Mythos um das Trojanische Pferd zusammen. Denn ohne das Wissen um die in der Ilias beschriebenen Kämpfe und Konflikte ist Troia nicht zu verstehen.  Dann erzählt er, wie Heinrich Schliemann sich mit Anmaßung, Hochstapelei und geschickten Marketingtricks zum Entdecker Trojas stilisiert. Ohne sich um die wirkliche Herkunft von Fundstücken zu kümmern, verpasst er Schmuckstücken und Masken so eingängige Namen, dass bis heute vom „Schatz des Priamos“ und der „Goldmaske des Agamemnon“ gesprochen wird . Wie alt diese Objekte tatsächlich sind und wie die neue Forschung sie bewertet, erörtert Korn dann im dritten Teil. Tatsächlich sind sie viel älter, als die von Homer beschriebenen Helden. Dies wissen wir mittlerweile durch die Ausgrabungen und Forschungen des 2005 verstorbenen Archäologen Manfred Korfmann.

Das hört sich nicht nur kompliziert an. Es ist kompliziert. Denn  in Troia trifft Dichtung auf Wahrheit und Größenwahn. Korn, der sich seit Anfang der 1990er Jahren mit Troia beschäftigt, dröselt die verschiedenen Ebenen selbst wie ein Archäologe auf. So wie die Forscher die neun verschiedenen Schichten Troias in den vergangenen zwei Jahrzehnten ausgegraben haben, legt auch Korn die verschiedenen Aspekte des sagenumwobenen Ortes frei. Er bedient sich dabei einer klar verständlichen Sprache und erzählt in einem fast mündlichen Stil, der einen gewissen Sog erzeugt. Bezüge zur heutigen Jugendkultur – Achill ist der Supermann; den Kampf um Troja vergleicht Korn mit World of Warcraft; der Hollywood-Film Troja von Wolfgang Petersen fehlt auch nicht – erleichtern den Kindern die Einordnung von Figuren und Ereignissen, ohne dass sie aufgesetzt oder anbiedernd wirken.

Die Herangehensweise von Wolfgang Korn thematisiert immer wieder, wie Geschichtsschreibung und Archäologie funktionieren, und sensibilisiert die Leser so zwischen Dichtung und möglicher Wahrheit zu unterscheiden. Das ist dermaßen spannend, dass man das Buch förmlich in einem Zug inhaliert. Dazu geben Ensikats Illustrationen, die in ihrer feinen Art an historische Kupferstiche erinnern, ein heimeliges Gefühl und genügend Anschauungsmaterial, um sich Troja und Troia bildlich vorzustellen. Text und Illustrationen fügen sich zu einer harmonischen Einheit zusammen, die richtigen Spaß an Geschichte vermittelt.

Wolfgang Korn: Die Geheimnisse von Troja, Illustration: Klaus Ensikat, Boje, 2013, 184 Seiten,  ab 12, 19,90 Euro