Paul, der Held im neuesten Buch von Andrea Schomburg, ist ein wenig ängstlich, etwas dick und außerdem gerade erst umgezogen. In der neuen Schule findet er sich schwerlich zurecht, was vor allem an Matze Motzmann liegt. Der hat einen Pick auf Paul, führt ihn vor, wo immer er kann. Manchmal weiß sich Paul keinen anderen Rat, als sich auf dem Schulklo zu verstecken. Da wartet er dann einsam auf das Ende der großen Pause oder des Unterrichts.
Doch heute ist etwas anders. Heute spricht ihn eine fremde Stimme an! Nach einigem Herumblinzeln entdeckt Paul eine Winzlingsfrau in rotkarierter Schürze, mit Brille und Libellenflügeln — und jeder Menge Flüchen auf den Lippen. Ohne Punkt und Komma stellt sie sich als Elvira Meier vor und macht Paul unmissverständlich klar: So wird das nie was mit Matze! Dann entfleucht sie, und Paul schleicht gedankenverloren nach Hause. Nachmittags zeigt er beim Springen vom Drei-Meter-Brett große Klasse, trotzdem macht ihm Matze den Triumph streitig. In Paul wallt es gewaltig.
Nachts kommt es zu einem zweiten Treffen. Elvira Meier entpuppt sich als Fee und stellt in Aussicht, dass sich Grundlegendes verändern kann. Was Paul braucht, sei das Blaue Wunder, und das findet sich in Bielefeld, im Rathaus, dritter Stock, Zimmer 314. Bedingung: Er hat nur drei Tage Zeit, dafür wird ihm ein Gefährte zur Seite stehen. Mehr überrascht, als überzeugt, stimmt Paul zu. Als er merkt, dass sein Begleiter ein kleiner, dicker Elefant mit grauer Schrumpelhaut und ewig schlechter Laune ist, hat die Uhr bereits angefangen zu ticken.
Was dann passiert, ist eine wahre Heldenreise. Die beiden müssen miteinander klarkommen, Stärken und Schwächen tolerieren, Streit überwinden und die Köpfe zusammenstecken, um gemeinsam das Ziel zu erreichen. Denn das Blaue Wunder wird ihr Leben verbessern!
Unangenehmes, Überraschendes, zutiefst Trauriges erwartet sie: Ein Bus, der nur alle 13 Jahre fährt. Wegweiser, verwirrend und kaum entzifferbar. Eine alte Frau mit unsagbar traurigen Augen, verwünscht und zu ewig gleicher Tätigkeit verdammt. Ein zaubernder Prinz, der Angst und Schrecken verbreitet. Schließlich müssen sie noch an F. R. Runkelschwein vorbei, der so gewaltig stinkt, dass jeder in Ohnmacht fällt. Überdies sind die Pfade schlammig, die Schluchten tief, die Wälder dicht und die Nächte tieftiefschwarz.
Mut gegen Gefahr, Cleverness gegen Zauberkraft, Menthol gegen Gestank. Und dazwischen die wachsende Vertrautheit zweier halber Helden, die das atemberaubende Abenteuer als Ganzes bestehen.
Sie hat etwas Märchenhaftes, diese Geschichte der Autorin Andrea Schomburg. Die Stationen am Weg geben immer neue Rätsel auf, aber mit jeder gefundenen Lösung wird die nächste Aufgabe leichter. Kreise schließen sich, weil Paul und Elefant mit Verstand und Herz agieren. Das furchtbare Los der Alten lässt sie ebenso aktiv werden wie die anrührende Einsamkeit des Stinkeschweins, und im Kampf gegen wirkmächtige Gegner werden sie immer stärker.
Es ist ein Vergnügen, diese beiden sympathischen Helden auf ihrer kniffligen Reise zu begleiten und mitzuknobeln. Und es ist einmal mehr die quietschvergnügte Schomburg-Lust an Wort und Reim, die mitreißt. Allein die explodierenden Fluch-Salven von Fee und Elefant sind köstlich und regen nicht nur den zunehmend selbstbewussten Paul zu eigenen Kreationen an. Sprache und Fantasie, Helden, die zur Identifikation einladen, und ein gelungener Genremix voller Literaturzitate. Dazu ein Riesenlob an die zweifarbige Gestaltungskunst und augenzwinkernde Leichtigkeit von Betina Gotzen-Beek.
Das ist LeseAugenGenuss pur!
Heike Brillmann-Ede
Andrea Schomburg: Der halbste Held der ganzen Welt, Illustration: Betina Gotzen-Beek, Sauerländer, 2017, 256 Seiten, ab 8, 13,99 Euro