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Mal offline ist auch ganz nett

Kinderbücher über Smartphone, Internet und so können eine ziemlich öde und eindimensionale Angelegenheit werden. Wenn sie nämlich die modernen Medien pauschal verteufeln und stattdessen ein längst vergangenes, eigentlich nie wirklich existierendes Bullerbü-Kinderglück propagieren. Und damit in die Kerbe Manfred Spitzers schlagen, der polemisch polternde Prediger und Psychiater, der Computer plus Kinder und Jugendliche mit „Sucht“ gleichsetzt, von „Zivilisationskrankheit“ raunt und Volksverdummung sowie eine komplett depressive, vereinsamte und abgestumpfte Generation junger Menschen prophezeit.

Umso erfrischender sind Marc-Uwe Klings Der Tag, an dem Oma das Internet kaputt gemacht hat und der neue Band aus der Sachbuchreihe Carlotta, Henri und das Leben: Mama ist offline und nix geht mehr. Beide Bücher kommen ohne mahnenden Zeigefinger aus, machen dafür einiges bewusst. Wobei auffällt, dass Frauen in diesen wirklich gelungenen Geschichten für die jüngsten Digital Natives anscheinend eine größere Internetaffinität haben.

Die Mama der Zwillinge Henri und Carlotta ist „echt cool. Sie hat über achthundert Freunde auf Facebook, ist in mindestens siebenunddreißig WhatsApp-Gruppen, schaut alle halbe Stunde, was auf Twitter passiert, skypt mit ihren Freundinnen und seit neuestem hat sie sogar Snapchat.“ Und natürlich hat sie immer das neueste Smartphone. In ihrem Job als Graphikerin läuft alles digital, sie ist auf permanenten Zugang zum Internet angewiesen. Nur Papa ist eher der analoge Typ. Jetzt sind Ferien, Papa „hat sich extra freigenommen, damit alle etwas unternehmen können“, also Wellenreiten statt im Netz surfen, draußen neue Eindrücke gewinnen statt Bilder posten, Konzerte besuchen statt Spotify-Listen anhören …

Dann spielt Henris Ungeschick Papa in die Hände: Henri fällt Mamas Smartphone ins Klo, das Teil ist kaputt, Reparatur dauert eine Woche, Mama ist offline und nix geht mehr. Katastrophe! Selbst Papa leidet und ist sauer, weil die Kaffee-App streikt und nicht wie gewohnt morgens frisch gebrühtes Wachmachergetränk kredenzt. Dann wettet er mit seiner Familie: Werden Mama, Carlotta und Henri es eine Woche offline aushalten? Ohne E-Mail, Videos, Onlinespiele, Messanger-Gruppe … arrgghh!

Unprätentiös und entspannt erzählt die Autorin und studierte Kommunikationsdesignerin Anette Beckmann von den kurzen, unfreiwilligen Ferien vom Internet. Da sieht man die Welt mit anderen Augen, die Familie entdeckt ein altes Schloss mit Flohmarkt statt des anvisierten Badesees, Musik kommt aus dem Autoradio oder vom Plattenspieler (gut, wenn man seine Schallplatten noch hat, obwohl, wichtiger Hinweis, „können schnell verkratzen“). Und merkt nebenbei, wie sehr mittlerweile Smartphones das Leben bestimmen, wenn zum Beispiel in der Pizzeria alle Gäste, egal welchen Alters, autistisch auf ihr Gerät starren, statt sich zu unterhalten. Oder die eigentlich coole, 15-jährige Cousine Ida zu Besuch kommt und total schlecht gelaunt ist, weil ein peinliches Foto von ihr gepostet worden ist. So lernt man, dass „Privates und Internet nicht zusammenpassen, weil alles auf ewig gespeichert wird und Dinge, die du heute lustig findest, in fünf Jahren vielleicht nicht mehr so lustig findest …“ Eine sehr charmante Geschichte mit absolut wissenswerten Erklärungen über ebenso selbstverständlich wie ahnungslos verwendete Begriffe, knappen Sachtexten sowie klugen Tipps zum gewinnbringenden Umgang mit digitalen Medien. Marion Goedelt hat sie cartoonesk mit vielen witzigen Details und lebhaften Einsprengseln illustriert, man hat fast einen richtigen Trickfilm vor Augen, soviel Bewegung ist in den Bildern.

Eine ganz unerwartete Dynamik bekommt auch der Tag, an dem Oma das Internet kaputt gemacht hat. Eine Doppelklick zu viel, und es hat sich was mit chatten, streamen und so. Die Großeltern sind da, weil Ferien sind und die Eltern arbeiten müssen. Jetzt hat aber Tiffany, die jüngste der drei Geschwister ein ganz schlechtes Gewissen, weil sie doch auf Oma aufpassen sollte und dann zerstört die das weltweite Netz. Die älteren Geschwister Max, der liegend chattet und ballert, und Luisa, Punkerin mit grünen Haaren, die sich laut ihres Vater in „einer politischen Phase“ befindet, können zwar kaum glauben, dass ausgerechnet ihre Großmutter alles lahm gelegt haben soll. Aber als der Pizzabote bei ihnen strandet, weil sein Navi nicht funktioniert, die Eltern früher, auf Umwegen, nach Hause kommen, weil arbeiten nicht mehr möglich ist, und sogar die alte E-Gitarre vom Dachboden wieder zur Geltung kommt, ist das auch egal.

Gewohnt ironisch und mit sanftem, politischem Witz inszeniert der Känguru-Chroniken-Autor ein freundliches, eintägiges, aber durchaus wiederholenswertes Chaos. Bei der Gelegenheit erklärt zum Beispiel Max der kleinen Schwester, was das Internet ist. „Kacknazis“, Kapitalismuskritik, Punkmusik und Teletext kommen auch kindgerecht zur Sprache, bunt und leicht karikaturesk bebildert von Astrid Henn. Und der mehrfach wiederholte Doppelklick ist wie eine augenzwinkernde Hommage an den Klassiker „Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt: „klick, klick“. So ein Tag offline hat durchaus seinen Reiz.

Marc-Uwe Kling, Astrid Henn (Illustrationen): Der Tag, an dem Oma das Internet kaputt gemacht hat, Carlsen 2018, 72 Seiten, ab 6, 12 Euro

Anette Beckmann, Marion Goedelt (Illustrationen): Carlotta, Henri und das Leben – Mama ist offline und nix geht mehr, Tulipan 2018, 64 Seiten, ab 7, 15 Euro

[Gastrezension] Altersgerechte Aufklärung

aufgeklärtReden wir über Aufklärung, und damit meine ich nicht den klassischen philosophisch-politischen Begriff, sondern Sex und Kinderkriegen. Ab welchem Alter sollte man mit Kindern darüber reden? Und wie? Schwer zu sagen, wenn schon Kindergartenkids Sexpraktiken diskutieren oder gang-bang spielen. Dass Babys nicht aus einem Sechserkarton handelsüblicher Eier, vermischt mit einer Packung Samen entstehen und dann per Express vom Storch gebracht werden, das wissen schon die Kleinsten. Auch Bienchen und Blümchen dürften schon vor einiger Zeit ausgedient haben.

Bei der Gelegenheit habe ich überlegt, wann ich aufgeklärt wurde? Auf jeden Fall nicht von meinen Eltern. Jahre später, schon als Jugendliche, haben mein Bruder und ich zu unserer großen Erheiterung, gar nicht mal versteckt, im Buchregal bei den Bildbänden Will McBrides Aufklärungsklassiker Zeig mal! gefunden, ein Geschenk eines damals noch kinderlosen, pseudoprogressiven Onkels, der wohl vor allem unsere Eltern provozieren wollte. Das vielfach ausgezeichnete und von der evangelischen Kirche abgesegnete, sogar verlegte Buch mit den stilvollen schwarz-weiß-Aufnahmen in der Anfang der 70er-Jahre angesagten, fotorealistischen „Mein-Esel-Benjamin“-Ästhetik gilt heute als nicht mehr kindergerecht und ist auch nicht mehr erhältlich. Aber wann und wie klärt man heute auf?

Zum Beispiel mit diesem ebenso klugen wie charmantem und ganz und gar unpeinlichem Buch Tante Uli ist verliebt und vermehrt sich – Aufgeklärt!?, dem ersten Band der neuen Sachbuchreihe Carlotta, Henri und das Leben von Anette Beckmann und Marion Goedelt, konzipiert für junge Leser ab sieben Jahren.

Erzählerin ist, sehr realistisch, die redegewandte vier Minuten ältere Zwillingsschwester Carlotta. Sie schwärmt von der coolen Tante Uli, die sie mit ihrem Zwillingsbruder Henri einmal in der Woche besucht, weil ihre Eltern beruflich viel unterwegs sind. Mit Uli toben sie herum und genießen viele Freiheiten. Seit neuestem ist Uli total verknallt, in Mario, den Chef der Trattoria Fussili unten im Haus. Erst benehmen sich die beiden ziemlich peinlich, was auszuhalten ist, weil Mario die besten Spaghetti der Welt macht und den Geschwistern Eis schenkt. Aber dann: „Uli ist komisch und wird immer merkwürdiger: Sie ist ständig müde, verpeilt, isst komische Dinge und schläft beim Spielen ein“. Diagnose: Tante Uli ist schwanger. Aber wie kommt das? Und wie geht es jetzt weiter mit Uli, ihrem wachsenden Bauch und dem Baby darin?

Die Texte der studierten Kommunikationsdesignerin Anette Beckmann gehen mit den witzigen Illustrationen Marion Goedelts eine kongeniale Mischung ein, die auch beim Vorlesen ein großer Spaß ist: „Damit das mit dem Ei und dem Samen klappt, muss man Sex haben. Dabei entsteht ein ganz schönes Gefühl. Das ist aufregend und kribbelig und dann wird der Penis …
NICHT lachen, habe ich gesagt!!!
… ganz groß und hart.“

Es wird mit Typographien und Schriftsetzung gespielt, freundliche Figuren, die Zwillinge, ihre Eltern und natürlich die immer runder werdende Uli, toben zwischen collageartig arrangierten Schautafeln, Ultraschallbildern und schrägen Witzbildchen über die Seiten. Spermien liefern sich Wettrennen, es gibt einen tierischen Vergleich über Schwangerschaftsdauer und ein Hund karikiert auch mal die Hochschwangere in typischer Pose: „Puh.“

In diesem Buch wird davon ausgegangen, dass beim Sex Liebe und Zuneigung im Spiel sind. Es geht hier nicht darum, das ganze Spektrum sexueller Spielarten darzustellen. Das ist für jedes Kind eine schöne Vorstellung und trifft wahrscheinlich zumindest beim Zeugungsakt meistens zu, was allerdings die spätere Trennung der Eltern leider nicht ausschließt.

Die Schreibweise mit „!?“ im Titel ist Programm, denn was erst klar wie Kloßbrühe erscheinen mag, kann einen bei näherer Betrachtung ins Grübeln bringen. Manche Frau, die wie es so schön heißt, „spontan entbunden“ hat, sprich, auf dem natürlichen Geburtsweg, fragt sich auch, wie das Neugeborene durch den engen Geburtskanal gepasst hat. Solche Fragen und Begriffe wie Befruchtung, Mutterkuchen (Henri fragt berechtigterweise: „Warum nicht Mutterpizza?“), intrauterines Wachstum, Kaiserschnitt, platzende Fruchtblasen und Wehen werden ebenso anschaulich wie sympathisch und witzig beantwortet. Und wie gesagt, absolut unpeinlich!

So schafft das Sachbuch aus dem manchmal sogar gefährlichen (Stichwort: Teenagerschwangerschaften, sexuell übertragbare Krankheiten) „oblatendünnen Eis des halben Zweidrittelwissens“ (wie TV-Moderatorin Sarah Kuttner mal sehr schön schrieb) eine solide, altersgerechte und ausbaufähige Grundlage.

Elke von Berkholz

Anette Beckmann, Marion Goedelt (Illustrationen): Carlotta, Henri und das Leben, Band 1 „Tante Uli ist verliebt und vermehrt sich – Aufgeklärt!?“, Tulipan, 2016, 60 Seiten, ab 7, 15 Euro