Schau mal, Hermine, mein neues Feenkostüm!«, begrüßt Margot ihre Freundin. Hermine ist hin und weg: Hellblaues Überkleid mit Puffärmeln und rosa Schleife überm Po, ein spitzer Hut und ein goldener Zauberstab mit einem Stern an der Spitze. »Wollen wir spielen, dass ich eine sehr mächtige Fee bin und alles Mögliche verwandeln kann?«
Los geht’s: »Simsalabim!« Und tatsächlich: Aus einem Stuhl wird ein Kürbis. Ein sehr gefräßiger Kürbis. Bevor Margot von der fleischfressenden Pflanze verschlungen wird, verzaubert sie das Biest in einen Kinderwagen. Aber was ist das für ein hässliches, kaputtes Monstrum?
Sehr französische Bilder
Wer hätte gedacht, dass so ein schönes Kostüm und so ein glänzender Zauberstab tatsächlich funktionieren … neija, zumindest ziemlichen Effekt haben? Der französische Kinderbuchautor und Illustrator André Bouchard hat sich diese wundervolle Geschichte vom Tag im Leben einer Fee ausgedacht und erzählt sie in hinreißenden und sehr französischen Bildern.
Klassische Metallstühle und träge Bulldoggen
Auf großen Doppelseiten mit viel Weißraum spielen die beiden ganz unterschiedlichen und gleich entzückenden Freundinnen in einem typischen Pariser Park, etwa dem Jardin du Luxembourg, mit breiten Wegen, Rasenflächen und den klassischen, schlichten Metallstühlen in gedecktem Grün. Vereinzelte, übergroße Erwachsene laufen achtlos im Vordergrund vorbei, wahlweise auf ihr Display starrend oder telefonierend, auch mal eine träge, dicke Bulldogge hinter sich herziehend.
Erst allmählich merken die Großen, was da bei den kleinen Mädchen abgeht. Aus ein paar Tauben werden keine Prinzen, wie von Margot gedacht, sondern scheußliche Trolle. Die wiederum ganz begeistert mit dem ollen Kinderwagen herumtoben, hinter den panisch fliehenden Parkbesuchern her.
Bedröppelt, klein und grün
Hermine ist begeistert und lacht sich kaputt über Margots verunglückte Zauberkünste. Da wird Margot richtig sauer: »Na schön, dann pass mal gut auf! Ich verwandle dich jetzt in eine Kröte! Das wird dir eine Lehre sein! Simsalabim!«
»Quak!« Auweia, Hermine ist tatsächlich in eine Kröte verwandelt, bedröppelt, klein und grün hockt sie vor der von ihrer Magie erschrockenen Margot. Herzzerreißend. Während die Trolle im Hintergrund einen verängstigten Jogger über den Rasen jagen.
Natürlich tut Margot es sofort total leid. Doch es ist wie verhext. Sie kann Hermine nicht mehr zurückverwandeln. Wie soll sie das nur deren Eltern erklären?
Kröte auf dem Schoß
Das nächste Bild ist das schönste des ganzen Buchs und bereits ausschnittsweise auf dem Titel zu sehen: Margot und Hermine gemeinsam im Bus, Hermine auf Margots Schoß, beide sich sehr zerknirscht anblickend. Um sie herum lauter Erwachsene, entweder auf das Mädchen mit der Kröte starrend, empört, neugierig, amüsiert oder angewidert. Oder ins Telefon vertieft und von dem Drama keine Notiz nehmend. Alle Erwachsenen ähneln Karikaturen, leicht grotesk und insgesamt ziemlich gräulich.
Bouchards Bilder wirken wie Radierungen, schwarz-weiße Strafuren, fein gestrichelte Texturen, Bäume, Flächen und zart ziselierte Häuserfassaden. Darauf setzt er vereinzelte Farbakzente für Kinder und Fabelwesen. Nicht nur stilistisch erinnert es an Sempé, der mit leisem Humor und feinem Strich die liebenswerten Macken großer und kleiner Leute zeigt. Formidabel übersetzt ist dieser wandlungsreiche Tag von Andreas Illmann, eloquent, zeitlos und sehr amüsant.
Ein Tag im Leben einer Fee erzählt von zwei wenig feenhaften, dafür umso bezaubernderen Freundinnen.
André Bouchard: Ein Tag im Leben einer Fee, Übersetzung: Andreas Illmann, Schaltzeit Verlag, 40 Seiten, ab 4, 15 Euro