Eigentlich hätte ich schon längst mal wieder einen Roman von Erich Kästner lesen wollen, so zur Entspannung und Erbauung, doch neulich habe ich eine ebenbürtige Geschichte aus dem aktuellen Herbstprogramm entdeckt, nämlich Roxy Sauerteig von Katharina Reschke.
Darin zieht Roxy mit ihrer Mutter in ein kanarienvogelgelbes Haus mit delfinblauer Tür in Berlin-Mitte. In dem etwas heruntergekommenen Haus bewohnen sie das luxussanierte Dachgeschoss mit eigenem Lift und allem Drum und Dran. Aber das ist Roxy, im Gegensatz zu ihrer Etepetete-Mutter, völlig schnuppe. Das Mädchen ist ganz wild auf „Abendteuer“. Nein, kein Tippfehler, sondern einer von Roxys Spezialausdrücken, von denen es im Buch nur so wimmelt. Roxy ist überzeugt, dass sich Abenteuer hauptsächlich abends abspielen, wenn es schon dunkel ist, und daher sollten sie nach Roxys Meinung auch so genannt werden.
Gleich in der ersten Nacht macht sich Roxy auf und erkundet die Hintertreppe, von der die Hauswartsfrau gesagt hat, dass die eigentlich niemand benutzt, außer … So ein unfertiger Satz reizt das Mädchen ungemein, und schon steht sie eine Etage tiefer bei Herrn Grindelmann in der Wohnung. Dort ist alles bis unter die Decke mit Dingen vollgestellt, denn Herr Grindelmann sammelt Dinge von der Straße auf, die andere weggeworfen haben, die aber noch zu gebrauchen sind, und gibt ihnen ein Zuhause. Grindelmann ist Einzelgänger, trinkt „Äußere-Ruhe-und-innere-Ordnung-Tee“ und kann mit Kindern so gar nicht. Das wiederum schreckt Roxy überhaupt nicht. Mit Vorwitz und Neugierde drängt sie sich in das Leben des Nachbarn und steckt schneller, als sie denken kann, in einer richtigen Detektivgeschichte.
Dabei spielen ein entwendeter Schokoladenbrunnen, das Bild eines Feldblumenstraußes sowie die anderen geheimnisvollen Nachbarn aus dem Haus wichtige Rollen. Ich könnte jetzt den Inhalt des Buches noch weiter ausführen, aber das würde eigentlich viel zu viel von der Spannung nehmen und dem Charme dieser Geschichte ganz und gar nicht gerecht. Denn das Tolle daran ist die kleine Protagonistin. Roxy läuft immer mit einer quietschgrünen Taucherbrille und Gummistiefeln herum, hat ihr rosanes Rüschenkleid, das der Mutter so gefällt, grün gefärbt und von allem Firlefanz befreit. Außerdem ist Roxy ein Sprachgenie. Sie schreibt an einem Lexikon mit ganz besonderen Ausdrücken: Da findet sich der „Blütaniker“, der sich selbstverständlich mit Blüten beschäftigt; „dov“ steht für „D.epp o.hne V.erstand“ und „Wissenschaffer“ sind Menschen, die eben Wissen schaffen. Alles herrlich einleuchtend und ganz im Sinne und in der Tradition von Erich Kästners Pünktchen. Mit ihrem unkonventionellen und frischen Denken betrachtet Roxy also die Umwelt und bringt die Erwachsenen um sie herum ziemlich aus dem Tritt. So kommt sie am Ende nicht nur einem Kunstfälscher-Skandal auf die Schliche und befreit einen Goldfisch, sondern sie löst im Leser auch den unstillbaren Drang aus, es ihrem leuchtenden Beispiel sofort nachzutun. Man möchte seine Mitmenschen auf ihre verschrobenen Verhaltensweisen ansprechen, immer und überall nachbohren und sich auf gar keinen Fall mit den scheinbar unabänderlichen Gegebenheit zufrieden geben.
Wenn das die Kinder, die Roxys Geschichte lesen, dann tatsächlich auch machen, werden sie sich im Laufe der Jahre – hoffentlich – zu selbstbewussten, unkonventionellen, unangepassten und kritischen Menschen entwickeln, von denen diese Welt nicht genug haben kann. Ich glaube, Erich Kästner hätte Roxy Sauerteig gefallen…
Katharina Reschke: Roxy Sauerteig. Das 4. Obergeheimnis links, Illustrationen: Susanne Göhlich, Baumhaus Verlag, 2012, 224 Seiten, ab 8, 12,99 Euro