Mauergeschichten

Berlin geteilte StadtSeit ich in Berlin wohne, üben Geschichten über diese Stadt einen fast unwiderstehlichen Reiz auf mich aus. Wenn sie dann noch in Comic-Form daherkommen, kann ich gar nicht anders und muss zugreifen. So habe ich nun auch das neueste Werk von Susanne Buddenberg und Thomas Henseler aufgesogen: Berlin – Geteilte Stadt.

In fünf Geschichten, die allesamt auf wahren Begebenheiten beruhen, umreißen die Comic-Macher die Zeit vom Mauerbau im Sommer 1961 bis zum Mauerfall vor 23 Jahren. Sie erzählen Schicksale vom fast verpassten Abitur, von Mauertoten, Flucht per Seilwinde, Stasi-Opfer und einem ganz besonderen 18. Geburtstag.

In klaren, schnörkellosen Schwarzweiß-Zeichnungen führen Buddenberg und Henseler die Leser detailgenau durch die Stadt und greifen dabei auch auf Bilder aus dem kollektiven Gedächtnis des Mauerbaus zurück. So zeigen sie das Gezerre an der alten Dame, die in der Bernauer Straße aus einem Haus in den Westen flüchten will. Oben die DDR-Grenzbeamten, unten hilfsbereite Westberliner. Ähnliches beim Mauerfall: Menschenmassen vor dem Grenzübergang Bornholmer Straße, Menschen auf der Mauer vor dem Brandenburger Tor. Älteren Lesern haben sich diese Bilder unauslöschlich ins Gedächtnis gebrannt und stellen dramatische oder erfreuliche Wiedererkennungseffekte bei der Lektüre da.

Die Episoden aus dem geteilten Berlin sind zwar kurz – und für Comic-Süchtige eher nur Appetithappen – doch zeigen sie essenzielle Momente der vergangenen 50 Jahre. Jugendliche Leser, die sich dem Thema deutsche Teilung jenseits der Schulbücher annähern möchten, finden hier die nötigen Eckdaten. Zwischen den Comic-Kapiteln haben die Autoren in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Berliner Mauer die historischen Fakten umrissen, so dass die Zusammenhänge und Hintergründe der Ereignisse perfekt eingeordnet werden können.

Susanne Buddenberg und Thomas Henseler, die mit Grenzfall bereits einen Comic über die SED-Diktatur gezeichnet haben, erzählen auch hier wieder sehr akkurat die kleinen, sehr persönlichen Geschichten, die man fast als unspektakulär bezeichnen möchte, wenn einem nicht im selben Moment einfällt, dass sie durch die Umstände und die politischen Entwicklungen alles andere das waren. Und es kann nicht oft genug an sie erinnert werden.

Berlin feiert dieser Tage seinen 775. Geburtstag. 28 Jahre davon werden in diesem Band gewürdigt, und es wird an das Jubiläums-Konzert vor dem Reichstag im Jahr 1987 im Zuge der 750-Jahr-Feier erinnert – so etwas ist für dieses Jahr nicht geplant, umso schöner, quasi als kleines Geburtstagsgeschenk, visuell noch einmal ansatzweise daran teilnehmen zu können.

Wenn ich mir etwas von dem Autoren-Duo wünschen könnte, wäre es ein weiterer Historien-Comic, sei es über die DDR oder über ein anderes Kapitel der deutschen Geschichte – dann aber bitte im XXL-Format und ohne didaktischen Anspruch, der der Lektüre dieses ansonsten total gelungenen Bandes einen etwas strengen Beigeschmack verleiht.

Susanne Buddenberg/Thomas Henseler: Berlin – Geteilte Stadt. Zeitgeschichten, avant-verlag, 2012, 97 Seiten, 14,95 Euro

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