Das Rotzgör

ur-pippiVor zehn Jahren starb Astrid Lindgren. Mit ihren Büchern bin ich erst ziemlich spät in Berührung gekommen. Meine Mutter drückte mir als Kind lieber der Reihe nach die Bände von Else Urys Nesthäkchen in die Hand. Damals habe ich die Geschichten aus Berlin geliebt – heute ertrage ich sie leider nicht mehr, zu konservativ ist die gutbürgerliche Welt der Ury.

Umso mehr habe ich sehr viel später die Geschichten von Michel, Bullerbü und natürlich Pippi verschlungen. Der Respekt für die Kinder und der offene Antikonformismus lagen mir näher. Pippi war dabei natürlich unübertroffen: stark, schlagfertig, unabhängig und so unglaublich lebensklug. Tommy und Annika, die „lieben kleinen karierten Kinder“ (Ur-Pippi), konnten dagegen einpacken.

Als dann der Oetinger Verlag 2007 die Ur-Pippi herausbrachte, las ich die Geschichte noch einmal, mit erwachsenen Augen und dem Blick der Literaturstudierten. Und hier präsentierte sich auf einmal eine Pippi, die noch frecher und vorwitziger war, als im Standardtext. Die Ur-Pippi ist sprachlich ungeschliffener und nicht so glatt. Die Heldin wiederum ist noch unabhängiger, hat sie doch keine „Mama im Himmel“ und keinen Vater als „Negerkönig“. Sie verschafft sich mit einem Fingerstupser Respekt vor mobbenden Jungs (wie man das Verhalten heute nennen würde) und führt die Erwachsenen noch rigoroser vor. Herrlich.

Der Kommentar, der dem Urtext folgt, klärt über die Entstehungsgeschichte und die Widerstände gegen diesen anarchischen Roman auf. Hier wird die ursprüngliche Kompromisslosigkeit Lindgrens bei der Verteidigung der Kinderrechte deutlich. Sie entlarvt die Unverschämtheiten und Beleidigungen der Erwachsenen – und deutet die Grandezza von Pippi an, die sie in ihrer späteren mythischen Form erlangt.

Die  Ur-Pippi liefert einen literaturwissenschaftlich aufschlussreichen Blick in die Entstehung des Pippi-Langstrumpf-Kosmos‘ – für eingeschworene Pippi-Fans im Erwachsenenalter ein Muss.

Astrid Lindgren: Ur-Pippi, Übersetzung: Angelika Kutsch und Cäcilie Heinig, Oetinger Verlag, 2007, 176 Seiten, 14,90 Euro