Es gibt Momente im Leben, da könnte man meinen, es gäbe keinen Ausweg mehr. Für Teenage-Mädchen sind ungewollte Schwangerschaften sicherlich so ein Moment. Was macht man jetzt? Wie soll man sich entscheiden? Fragen über Fragen tun sich plötzlich vor den Mädchen auf.
All diese Fragen und die möglichen Antworten hat Lucy Hay in ihrem Roman Bauchentscheidung zu einem außergewöhnlichen Erzählkonzept zusammengestellt. Protagonistin Lizzie ist 17 und will demnächst auf die Uni gehen. Sie ist mit Mike zusammen und hat neulich nach einem Abend mit zuviel Alkohol mit ihm ungeschützten Sex gehabt. Dieses eine Mal reicht, und Lizzie ist schwanger. Die Bestätigung erhält sie durch einen Schwangerschaftstest, den sie auf einer versifften öffentlichen Toilette macht. Das Mädchen ist schockiert, weil sie nie dachte, dass gerade ihr so etwas passieren könnte. Sie will mit jemandem reden – da klingelt ihr Handy.
Dieses Handyklingeln katapultiert – wie das Bimmeln des Weckers beim Murmeltiertag im Film Und täglich grüßt das Murmeltier – Lizzie immer wieder in die gleiche Situation auf der Toilette. Doch jedes Mal ruft jemand anderes an – ihre Schwester Sal, die Mutter, Freund Mike, Lizzies beste Freundin Shona. Mit allen redet Lizzie über ihre Lage, und von allen bekommt sie andere Ratschläge. In der Folge trifft das Mädchen die unterschiedlichsten Entscheidungen, wie sie mit dieser ungewollten Schwangerschaft umgeht. Sie treibt ab; sie trägt das Kind aus und arrangiert sich mit dem Kindsvater; sie hat eine Eileiterschwangerschaft und verliert das Kind; sie denkt über Adoption nach; sie bekommt das Kind, trennt sich aber von Mike. Wie sie sich im Endeffekt wirklich entscheidet, bleibt zwar offen, doch Lizzie ist sich schließlich sicher, die richtige Entscheidung zu treffen.
Hays Konzept, verschiedene Wege aufzuzeigen, ist faszinierend und spannend zugleich. Die Ich-Erzählerin hadert, stellt sich Unmengen an Fragen, denkt nach und hört vor allem auch ihren Gesprächspartnern zu. So merkt sie, dass sie zum Teil die Mutter oder die beste Freundin falsch eingeschätzt hat. Die Diskussionen über Schwangerschaft und Kinderkriegen zeigen jedoch, dass sie in jeden Fall auf ihre Eltern zählen kann, auf den Freund jedoch nur bedingt.
Angesiedelt ist die Geschichte im heutigen Großbritannien. Lizzie kommt aus einer Großfamilie mit sechs Kindern und einer sozial eher niedrigeren Schicht. Den Schluss zu ziehen, dass es mit so einer Konstellation ja fast normal ist, schon als Teenager schwanger zu werden, wäre jedoch verfehlt. Lizzie hat überaus liebevolle und verständnisvolle Eltern. Das zeigt vor allem die folgende Aussage des Vaters: „Wünsch dir nicht dein Leben weg. Dinge passieren. Manchmal ist es gut, manchmal schlecht, manchmal unerwartet. Wir müssen einfach tun, was wir können, und damit umgehen lernen.“
Genau diese Botschaft macht das Buch so wichtig. Es urteilt nicht. In keiner der Szenerien bewertet irgendjemand Lizzie und ihre Entscheidung. Dieses Fehlen von Bewertungen ist sehr befreiend, denn jeder Leser kann sich seine eigene Meinung bilden. Dieser Roman liefert viel mehr eine Hilfestellung und ermutigt auf jeder Seite, sich anderen Menschen anzuvertrauen, mit ihnen zu reden, ihren Rat und ihre Erfahrung einzuholen. Hier werden keine vorschnellen Entscheidungen allein getroffen, sondern das Leben in all seinen Facetten und Spielarten dargestellt. Denn das Leben lässt sich eben nur bedingt planen. Wendungen und Schicksalsschläge gehören bekanntermaßen dazu, doch die Haltung mit der wir sie annehmen, macht den Unterschied zwischen Katastrophe oder gelingendem Leben. Lucy Hay liefert ein hervorragendes Beispiel dafür.
Lucy Hay: Bauchentscheidung, Übersetzung: Christiane Steen, Rowohlt Verlag, 2013, 224 Seiten, ab 13, 8,99 Euro