Mut zur Wut

In diesen zwei exzellenten Bilderbüchern geht es um Gefühle, mit denen ich mich sehr gut auskenne: Wut und schlechte Laune. In der Kinderliteratur wurden diese Emotionen bisher sträflich vernachlässigt und wenn, dann eher negativ dargestellt. Oder zumindest als etwas, was nicht ausgelebt und möglichst vermieden werden sollte. Wie bei dem hochexplosiven Mädchen in Stefanie Höflers Helsin, Apelsin und der Spinner. Oder ausgelagert und stellvertretend eingesetzt in Manfred Mais Der Zornickel.

Ein Fest furioser Wut

Ganz anders bei Britta Teckentrup. Wütend ist ein Fest der grundlosen, furiosen Wut. Ein Mädchen sieht rot. Und feuerrot lodert es um sie herum. Es ist erst der Anfang eines tosenden Sturms, Orkans, gewaltigen Unwetters. Das Kind entfesselt Naturgewalten, der Himmel schwärzer als schwarz, Blitze, Donnerkrachen, alles umhauende Riesenwellen.
Alles von Teckentrup überwältigend und mitreißend in Szene gesetzt in vielschichtigen, computeranimierten Collagen aus kräftigem Pinselstrich, plastischem Farbauftrag, die Seiten sprengend.

Typographie außer Rand und Band

Dazu tanzen die Verse wie verrückt über die Seiten, auch die Typographie ist außer Rand und Band: »Ich donnere, blitze, schreie blase. / Wüte, wirble, heule, rase! / Ich sause und brause. Tobe und krache. / Ich fauche und fluche. Wie ein wütender Drache!«
Schließlich klart der Himmel auf, die Farben werden blasser, die Wut hat gewirkt: »Jetzt ist alles raus. Ich fühle mich frei / Ich atme tief aus. Der Sturm ist vorbei. / Meine Reise geht weiter, und nimmt ihren Lauf / Der Weg beginnt hier, die Tür steht nun auf.«

Wut ist ein Anfang

Britta Teckentrup zeigt in Wütend nicht nur einen beeindruckenden Wutanfall, unbegründet, wie ein reinigendes Gewitter. Die Wut ist ein Anfang, sie eröffnet Möglichkeiten und Wege. Durch die Wut wird das Kind sich seiner Kraft zu Veränderung bewusst.
So ist das nachgestellt Zitat der Schweizer Menschenrechts-Aktivistin und Flüchtlingshelferin Anni Lanz nur logisch: »Man muss eine Wut so umsetzen, dass sie Veränderung bewirkt.«

Ihre grundsätzlich schlechte Laune bewirkt bei Motzemieze leider keine Veränderung und bewegt auch nichts. Außer vielleicht die verstörte andere kleine Katze, die die flauschige Meckerliese mehrmals ohne Not von deren Schlafplatz vertreibt. Die Sonne ist zu hell, das Futter zu trocken, die Katzenminze zu anregend und der Staubsauger monstermäßig laut.

Glückliche sind einfach nur langweilig

Da nützt es auch nichts, dass ein Eichhörnchen der verwöhnten Kitty den Kopf wäscht und erklärt, wie gut sie es eigentlich hat. Motzemieze ist grundsätzlich schlecht gelaunt und tut das gelegentlich auch laut und sehr ausdauernd miauend seitenweise kund.
Die Literaturkritikerin und -liebhaberin Elke Heidenreich hat zwar jüngst betont, dass nur die Unzufriedenen die Welt verändern und vor allem interessante literarische Figuren abgeben. Die Glücklichen sind in ihrem Glück zufrieden und einfach nur langweilig.

Amüsante Schimpftiraden ins Mäulchen gelegt

Die Welt wird Motzemieze bestimmt nicht verbessern. Interessant ist das missgelaunte Fellknäuel auf jeden Fall. Jory John legt ihr höchst amüsante Schimpftiraden ins Mäulchen, von Andreas Steinhöfel herrlich nölig übersetzt. Und Lane Smith zeichnet den zeternden Ministubentiger unwiderstehlich niedlich. Und damit lässt man dem Kätzchen einiges durchgehen, was sich sonst keiner leisten kann. Auf keinen Fall kommt ein Erwachsener mit so dekonstruktiver und misanthropisch mieser Laune durch. Außer man ist die famose Fran Lebowitz. Die exzentrische New Yorkerin und Schriftstellerin mit bereits jahrzehntelanger Schreibblockade ist einzigartig. Vor allem in Sachen Wut und schlechte Laune ist sie die ungekrönte Königin.

Britta Teckentrup: Wütend, Prestel, 48 Seiten, 18 Euro, ab 4 Jahre

Jory John, Lane Smith (Illustr.): Motzemieze, Übersetzung: Andreas Steinhöfel, Carlsen, 48 Seiten, 15 Euro, ab 4 Jahre