Das Leben ist Veränderung

geschwister

In den nächsten Tagen werde ich zum dritten Mal Tante. Welche Freude!
Bei meiner Nichte, 7, und meinem Neffen, 4, steigt momentan der Aufregungspegel ganz enorm, auch wenn so keiner von uns – auch die Erwachsenen – es sich noch nicht richtig vorstellen kann, wie es mit so einem neuen Baby sein wird. Die Geschwisterkonstellation wird sich auf die eine oder andere Art verschieben. Und das wird eine ziemlich interessante Angelegenheit.

Geschwisterliebe

Nun ist gerade ein Bilderbuch von Rocio Bonilla erschienen, dass dieses Thema auf den Punkt bringt. Zwei Geschwister, eine große Schwester und ein kleiner Bruder, berichten darin von ihrem Leben mit dem/der jeweils anderen. Das quadratische Buch ist ein so genanntes Wendebuch, das von vorn wie auch von hinten gelesen werden kann. Je nachdem, wo man das Buch aufschlägt, erzählt entweder die Schwester oder der Bruder ihre oder seine Sicht der Dinge. Und die ist am Anfang nicht besonders schmeichelhaft.

Das ist der Bruder der blöde Affe, der einfach alles nimmt und kaputt macht. Er ist eine Qual und eine Heulsuse. Die Schwester hingegen macht, dass der Bruder sich klein fühlt und wütend wird. Sie ist langweilig und eine Qual.
Aber sie baut auch die höchsten Türme und bringt dem Lütten Fahrradfahren bei, und ohne den Bruder fühlt sich die Schwester einsam.
Da schwingt das ganze Programm von Geschwister-Alltag und Geschwisterliebe mit. Trotz aller Differenzen und nervigen Eigenarten der/s Anderen sind die beiden sich einig, dass es gar nicht so schlecht ist, zu zweit zu sein.

Achtung, Spoiler!

Und kommt man dann als Leser_in in der Mitte des Buches an, hinter der halbgeöffneten Tür ertönt das Gebrüll … von … ja: Geschwisterchen Nr. 3! Sorry, für diesen Spoiler, aber anders kann man dieses herzallerliebste Bilderbuch nicht präsentieren. Denn hier geht es um die Veränderung in einem eingeschworenen Team. Nichts wird ab jetzt so sein, wie es bis dahin war. Etwas Neues, etwas Schönes bricht in den Alltag ein und verändert ihn fundamental.

Noch ist das Baby nur ein windeltragender Schreihals, mit dem die Geschwister nicht viel anfangen können. Die Frage, wie es nun zu dritt für sie weitergeht, beantwortet Bonilla nicht, sondern er überlässt es den Betrachter_innen, sich nun zu überlegen, wie das Leben wohl weitergeht.
Hier bietet sich nicht nur eine vorzügliche Vorlage über die jeweiligen Sichtweisen von Geschwistern auf den/die andere zu reflektieren, sich vielleicht selbst wieder zu erkennen, das Schöne und das Nicht-So-Schöne zu benennen, sondern auch für alle, bei denen das dritte Kind im Anmarsch ist, eine Gelegenheit über den Wandel in der nächsten Zeit zu sprechen. Wie wollen sich die Geschwister verhalten? Wird sich ihr Verhältnis zueinander verändern? Wird es Konkurrenz geben? Wird das Team wachsen? Wird der Spaß bleiben? Oder wird es mehr Streit geben?

Entzückend illustriert

Die Offenheit dieser Geschichte kombiniert Bonilla mit entzückenden Bildern, in denen der Bruder die Schwester als balletttanzendes Nashorn mit Tutu sieht, sich in den Zimmern Eisenbahn, Bauklötze oder Plüschtiere stapeln. Das Chaos, das die Gören im Badezimmer anrichten, ist jedem bestens bekannt, der mal versucht hat, kleine Wasserratten wieder aus der Wanne zu bekommen. Dazu die genervten, gelangweilten, wütenden, fröhlichen, erstaunten, traurigen, hämischen, verträumten, erschrockenen, stolzen Gesichtsausdrücke der beiden zu sehen, ist großartig und vermittelt die ganze Bandbreite menschlicher Gefühle, über die dann auch geredet werden kann.

Ohne farbliche Geschlechterklischees

Eins muss noch zusätzlich betont werden, weil es (leider immer noch!) keine Selbstverständlichkeit ist: Die Farbgebung in diesem Bilderbuch ist spitze! Jenseits aller rosa-hellblauer Geschlechterklischees. Das Mädchen trägt Grün, der Junge Rot und auch schon mal das rosa Tutu der Schwester. Klar, spielt er Darth Vader und mit einer Eisenbahn, aber er frisiert genauso die Puppen der Schwester. Sie hingegen bringt ihm Backen und Fahrradfahren bei und beschützt ihn vor nächtlichen Schlafzimmermonstern. Und auch das Baby kommt ohne farbliche Geschlechtszuordnung aus – ein echter Gewinn!

Mit so einer Bilderbuchvorbereitung sollte der Familienzuwachs bei den großen Geschwistern also bestens ankommen und der Spaß auf jeden Fall weitergehen! Ich werde es am Wochenende bei Nichte und Neffe überprüfen…

Rocio Bonilla: Geschwister, Übersetzung: Renate Loew, Jumbo, 2019, 56 Seiten, ab 3, 15 Euro