Eigentlich, ja, eigentlich wollte ich auf diesem Blog keine Bücher vorstellen, die schon auf der Bestsellerliste stehen, weil die dann ja bereits eine stattliche Anzahl an Lesern gefunden haben, und ich den Büchern, die nicht diese Aufmerksamkeit erfahren, ein Forum bieten möchte. Wenn solche Bücher später auf diesen Listen auftauchen, freue ich mich natürlich. Momentan sind das drei – John Greens Das Schicksal ist ein mieser Verräter, Raquel Palacios Wunder und Janet Foxleys Munkel Trogg.
Kerstin Giers Trilogie-Auftakt-Roman Silber – Das erste Buch der Träume stand schon auf der Bestsellerliste, bevor ich auch nur die erste Zeile gelesen hatte. Also hätte ich ihn mir eigentlich sparen können. Doch da die Edelstein-Trilogie von Kerstin Gier völlig an mir vorbeigegangen ist und ich nun doch neugierig war, was es mit dieser Autorin auf sich hat, fing ich an zu lesen. Und konnte nicht mehr aufhören.
Die Geschichte um Liv in London mit ihrer neuen Patchwork-Familie und der geheimnisvollen Boys-Clique, die durch Träume wandelt, will ich hier gar nicht wiederholen. Denn die findet sich schon in unendlicher Zahl im Netz. Spannend ist die mainstream-taugliche Mischung aus Mystery, High-School-Gossip-Abschlussball-Szenerie und clever-nerdigen Außenseiter-Heldin alle mal. Gar keine Frage. Da frage ich mich eher, ob ich hier eigentlich noch einen neuen Aspekt zu diesem Buch beitragen kann.
Vielleicht soviel: Das, was mich neben der gut geplotteten Geschichte, schon auf den ersten Seiten in den Bann gezogen hat, war die einwandfreie Erzählart. Liv berichtete zwar als Ich-Erzählerin von ihren Erlebnissen – ich sage hier „zwar“, denn Ich-Erzählungen im Jugendbuch sind seit einem gefühlten Jahrzehnt so en vogue, dass man andere Perspektiven wirklich mit der Lupe suchen muss. Meist sind diese Ich-Erzählungen dann auch noch im Präsens geschrieben, was bei mir momentan mehr oder weniger allergische Reaktionen auslöst. Kerstin Gier jedoch schreibt in der Vergangenheitsform, was mich dann auch mit der Ich-Perspektive versöhnt. Denn so ist zumindest ein gewisser zeitlicher Abstand zu der Handlung gewahrt, und ich muss mich nicht mit der Protagonistin zwangsidentifizieren oder mir über die erzählte Gegenwart, die im Moment meiner Lektüre ja eigentlich schon längst wieder Vergangenheit ist – oder zumindest nicht meine eigene Zeit ist, den Kopf zerbrechen.
Im Fall von Liv hält Gier die Ich-Perspektive perfekt durch. Alle Infos kommen in der richtigen Dosis zum richtigen Moment von den richtigen Figuren. Das bekommen nicht alle Autoren so nonchalant hin. All dies kombiniert Gier mit klarer Sprache und Syntax, die dem Lesefluss keine Stolpersteine in den Weg legt. Die Portion Humor und die Prise Selbstironie, mit denen sie Liv ausstattet, machen die Heldin zu einer absolut liebenswerten Figur. Eigentlich sind alle Figuren im Roman liebenswert, was vielleicht der einzige Kritikpunkt sein könnte – denn es gibt kein wirkliches Ekel, von einer Figur mal abgesehen. Hier hätte man sich ein bisschen weniger Heile-Patchwork-Welt wünschen können. Aber schließlich handelt es sich bei Silber nicht um einen sozialkritischen Problemroman, sondern um ein kurzweiliges Mystery-Abenteuer, bei dem alle Zutaten stimmen.
Diese Betonung von handwerklichem Können mag sich vielleicht banal anhören. Doch mittlerweile kommen mir immer mehr Bücher unter, in denen genau dieses Handwerk zu wünschen übrig lässt (über diese Bücher blogge ich dann nicht, weil ich sie meistens nicht mal zu Ende lese). Umso mehr schätze ich daher einwandfrei erzählte Geschichten und ziehe meinen Hut vor dieser tatsächlich schwierigen Aufgabe, die sehr viel Disziplin und Aufmerksamkeit erfordert. In anderen Romanen wechselt beispielsweise die Perspektive so oft, dass einem fast schwindelig wird und man den Überblick verliert, wer gerade erzählt. Vieles wird einfach behauptet und nicht durch die Figuren gezeigt. All diese Fehler sucht man bei Kerstin Gier vergeblich. Zum Glück. Denn durch ihren geschmeidigen Text kann man den Inhalt von Silber umso ungestörter genießen.
Man taucht von der ersten Seite in Livs Welt ein und erst auf der letzten Seite wieder daraus auf. Besser geht es wirklich nicht. Das Fiese an der letzten Seite ist allerdings der letzte Satz: ein makelloser Cliffhanger, der sofort das Verlangen nach Teil zwei schürt. Vermutlich müssen alle Silber-Infizierte jetzt erst einmal ein Jahr auf den neuen Stoff warten. Das ist zwar bitter, aber genauso eine Wirkung wünsche ich mir von guter Unterhaltungsliteratur: Man kann gar nicht genug davon bekommen.
Kerstin Gier: Silber – Das erste Buch der Träume, Fischer FJB, 2013, 416 Seiten, ab 14, 18,99 Euro