Wenn Sie die Bilder von Pieter Breugel, dem Älteren kennen, dann denken Sie jetzt bitte an eins von denen – die Bauernhochzeit beispielsweise oder Der Kampf zwischen Karneval und Fasten – und schon sind Sie in dem historischen Roman Galgenmädchen der Flamen Jean-Claude van Rijckeghem und Pat van Beirs.
So wie es auf Breugels Gemälden von Personen und Szenen wimmelt, so pulsiert es auch im Galgenmädchen. Die Protagonisten ist das Mädchen Gitte, das von seiner Mutter mit fünf Jahren in das Mädchenhaus von Antwerpen abgeschoben wird. Dort bekommt sie zwar Essen und einen Schlafplatz, aber an Liebe mangelt es. Halt gibt Gitte eine Camee, die angeblich von ihrem Vater stammt, einem spanischen Herzog. Gitte ist fest entschlossen, eines Tages ihren Vater zu suchen. Zuvor wird sie jedoch von den Heimleitern an einen fahrenden Apotheker verkauft. Dieser reist mit Frau und drei Helfern von Markt zu Markt durch Flandern. Ihren Unterhalt verdient die Truppe mit Wahrsagen, dem Verkauf zweifelhafter Gesundheitsmittel, Betrug und Diebstahl. Karl der Kirchenpisser bringt Gitte alle Kniffe und Tricks bei, wie man auf den Märkten den Menschen ihre Beutel abschneidet und sie um ihre Wertsachen bringt.
Bis es eines Tages schief geht. Gitte wird gefasst, angeklagt, verurteilt und soll am Galgen sterben. Doch der Hilfsvogt Johannes verliebt sich in sie und rettet sie, die Tochter eines spanischen Adligen, vor dem Tod. Doch ungeschoren kommt Gitte nicht davon. Sie wird als Gaunerin gebrandmarkt und verpflichtet, als Spionin für die niederländische Krone nach Sevilla zu gehen.
Dort findet sie tatsächlich ihren Vater, gewinnt sein Vertrauen, wird als Tochter in dessen Haus aufgenommen. Gitte lernt das Leben als Edelfräulein kennen, trägt plötzlich sperrige Röcke, isst die exquisitesten Speisen. Aber sie muss sich regelmäßig mit Johannes treffen und Bericht erstatten. Denn die Niederländer wollen das Wertvollste, was die Spanier besitzen: die siebenteilige Weltkarte …
Das Gewimmel im Plot von Galgenmädchen kann ich hier nur mit dürren Worten wiedergeben. Jedes Kapitel strotzt vor atmosphärischen Beschreibungen vom Leben in Antwerpen und Sevilla im 16. Jahrhundert. Es wird klar, dass das Leben auf der Straße, das Gitte anfangs führt, kein Zuckerschlecken ist. Und selbst in Spanien, im Haus des Herzogs, ist es nicht nur angenehm, da niemand dort Gittes Brandzeichen sehen darf.
Die Autoren Jean-Claude van Rijckeghem und Pat van Beirs entführen die Leser gekonnt in die Zeit vor fast 500 Jahren. Jedes Detail ist akribisch recherchiert, von der Kleidung, über die Pistolen, bis hin zu den Nachttöpfen. Die Sprache von Gitte ist oftmals derbe und unverblümt. Die Mischung aus Gaunerleben, Liebe, Krieg und Spionage, kombiniert mit der Entwicklung eines jungen Mädchens zur selbstbewussten, in jeder Hinsicht schlagfertigen Frau, macht richtig Laune, in diese vergangene Welt einzutauchen. Sie lässt einen bis zum Ende des Buches nicht mehr los.
Jean-Claude van Rijckeghem/Pat van Beirs: Galgenmädchen, Übersetzung:Mirjam Pressler, Gerstenberg Verlag, 2014, 496 Seiten, ab 14, 19,95 Euro