Die Antarktis, das Leben und der ganze Rest

Antarktis

Kälte ist nicht so mein Ding, weshalb ein Ausflug in die Antarktis, selbst nur als literarisch-virtueller, nicht naheliegend ist. Aber hey, da ist jetzt Sommer, die Sonne scheint rund um die Uhr, bei lauschigen –10° bis –40° Celsius, ohne das Minus davor geradezu perfekt.
Zum Südpol fällt einem zunächst nicht viel mehr ein als klirrendkalt und jwd und Pinguine. Der tschechische Autor und Illustrator David Böhm zeigt jetzt mit A wie Antarktis, das da unten, am anderen Ende der Welt so viel mehr ist – Spannendes, Unglaubliches, Überwältigendes.

Weltbild auf den Kopf gestellt

Was heißt das eigentlich, „da unten“? Gleich zu Beginn stellt Böhm unser Weltbild in Frage und auf den Kopf. Auf einer Kugel gibt es gar kein oben und unten, keinen Anfang und kein Ende. Unsere eurozentrische und am Äquator orientierte Sicht der Welt ist nicht nur perspektivisch verzerrt. Das fängt schon beim Namen an: Antarktis ist zunächst ein nur im Deutschen gebräuchlicher, unpräziser Ausdruck. In den meisten Sprachen heißt die Landfläche Antarktika und das umgebende Meergebiet Südpolarmeer oder Antarktik. Sie ist der südlichste Kontinent und ein in vielerlei Hinsicht ein Unikum.
Verblüffenderweise ist sie nicht nur mit durchschnittlich 2020 Metern überm Meeresspiegel der höchste (Ha! Himalaja), sondern auch der trockenste Kontinent. Es regnet dort seltener als in der Sahara. Und doch speichert sie dreiviertel des Süßwasser der ganzen Welt in ihrem Eis. Zur extremen Kälte, –89° C wurde 1983 gemessen, kommen noch bis über 250 Stundenkilometer schnelle Winde.

Antarktika gehört niemandem

Das sind die harten geographischen und klimatischen Fakten. Es gibt auch sehr sympathische Fakten: Die Antarktis gehört niemandem – oder allen. Mittlerweile haben 54 Nationen den Antarktisvertrag vom 1. Dezember 1959 unterschrieben. Der besagt, dass man hier keinen Krieg führen und keine militärischen Übungen machen darf. Niemand  darf mineralische Rohstoffe fördern. Die Antarktis darf nur friedlich genutzt werden und ist der ganzen Welt für wissenschaftliche Forschung zugänglich. Leider endet der Vertrag 2048.
Nicht nur aus edlen Motiven lieferten sich Anfang des vorherigen Jahrhunderts zahlreiche Abenteurer absurde Wettrennen, um Erster am Pol zu sein. Überschattet von ihren Gespenstern erzählt und zeigt Böhm auf der ersten von zahlreichen aufklappbaren Doppelbreitbandseiten die Abenteuer dieser Polverrückten.

Entspannte Pelztiere und kuriose Architektur

Die Weddelrobbe hätte gut auf diese Extremtouristen verzichten können. Wegen ihres superdichten und fantastisch wärmenden Pelzes wäre das am nächsten zum Südpol lebende Säugetier fast ausgerottet worden. Meist liegt sie nämlich entspannt auf dem Eis, als wäre es der Strand. Nicht nur mit ihr, die bis zu 80 Minuten unter Wasser bleiben kann, tauchen wir ein in David Böhms fantastische Panoramabilder zum Leben an Land und unter Wasser, über Eisberge und ins ewige Eis, das wie das Gedächtnis der Erdgeschichte ist. Wir sehen die kuriose, unter Extrembedingungen entstandene und völlig unterschiedliche Architektur der insgesamt 70 Stationen, die von derzeit 30 Nationen am Südpol bewohnt und unterhalten werden. Jüngst hat Südkorea 2014 eine der modernsten Stationen eröffnet, die chinesische ist in jeder Hinsicht extrem und die ukrainische hat als einzige ein Bar.

Tiefblaue Panoramen und plüschige Pinguine

Die klugen, fakten- und informationsreichen Texte allein machen A wie Antarktis schon zu einem höchst lesenswerten Buch. Perfekt wird es aber durch die abwechslungsreiche und lebendige Gestaltung. Böhm, Absolvent der Akademie für Bildende Künste in Prag, spielt mit Formaten, Farben und Formen. Wir tauchen ein in das Südpolarmeer in tiefen Blautönen, blicken winzigen Bärtierchen ins Auge, erkunden Eiswüsten in epischer Breite, leiden in Comicform mit an übelster Seekrankheit.
Dazwischen finden sich zahlreiche Fotos und realistische Collage-Elemente. Die verschiedenen Pinguin-Arten wiederum sind von einer Künstlerin extra als Stofftiere genäht.
A wie Antarktis ist so viel mehr als nur ein brillantes Sachbuch voller echter Abenteuer – es liefert neue Ansichten vom kältesten Kontinent, vom Leben und dem ganzen Rest

David Böhm: A wie Antarktis – Ansichten vom anderen Ende der Welt, Übersetzung: Lena Dorn, Karl Rauch Verlag, 2019, 78 Seiten, ab 7, 22 Euro

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