John Green in Berlin

Eigentlich habe ich es ja nicht mit Autogrammen und dem Promi-Hinterherrennen, doch dieses Mal konnte ich einfach nicht anders. Und jetzt ist meine Presseausgabe von John Greens Roman Das Schicksal ist ein mieser Verräter mit der Unterschrift des Autors versehen. Irgendwie schön. Das Ganze passierte heute Abend auf dem 12. Internationalen Literaturfestival in Berlin, wo John Green seine Deutschland-Lesereise begann.

Ich war etwas zu früh im Haus der Berliner Festspiele, der Abend war noch lau und trocken. Als ich in den Garten schlenderte, saß er dort. In hellem Hemd, Jeans und Adidas-Turnschuhen. John Green himself. Ganz entspannt gab er ein Interview. Und anstatt die ersten Autogrammjäger fortzujagen, fing er an zu signieren und meinte: „Lieber jetzt schon, als später, wenn alle kommen.“ Ich nahm allen Mut zusammen, zumal ich mich für die Beantwortung meiner Fragen vor ein paar Wochen persönlich bedanken wollte. Er war so nett und erfreut, dass es mir regelrecht die Sprache verschlug, und ich irgendwas von „confused“ stotterte. Tzz. Er nahm es mit Humor und erzählte, dass er so jelaged sei und auch ganz confused … Nun, man sah es ihm nicht an. Auch nicht das Mammutprogramm, dass er einen Tag nach seiner Ankunft in Deutschland schon hinter sich hatte: Zwei Lesungen, Interview-Marathon, Aufnahmen mit einem Fernsehteam im Plänterwald. Das quietschende Riesenrad, das sich dort langsam gedreht hätte, würde so wunderbar zu der Vergänglichkeit in seinem Roman passen, wurde mir zugetragen.

Wenig später füllte sich der große Saal im Festspielhaus langsam. Etwa 250 Menschen drängten hinein, hauptsächlich junge Mädchen. Und als um 19.38 Uhr John Green auf die Bühne trat, brandete Jubel auf, als würde ein Popstar erscheinen. Doch er gebärdete sich ganz und gar nicht so, sondern setzte sich fast bescheiden auf seinen Stuhl. Einer launigen Vorstellung folgte die erste Lesung, zunächst John Green selbst auf Englisch, dann rezitierte Regina Gisbertz so mitreißend die deutsche Übersetzung von Sophie Zeitz, dass der Autor ganz fasziniert an ihren Lippen hing und bekannte, dass er sich durch ihren Vortrag wieder genauso fühlte, wie in dem Moment als er das Buch geschrieben hatte.

Im Anschluss erzählte er von Empathie, die beim Schreiben wichtiger ist, als den richtigen Slang der Jugend zu treffen. Den hätte er selbst in jungen Jahren überhaupt nicht gesprochen und nie gewusst, worüber sich seine Altersgenossen so unterhielten. Doch das Mitgefühl für die Menschen, die an einer lebensbedrohlichen Krankheit leiden, für die sie nichts können, war ihm während des Schreibens wichtiger. Für ihn müssen die Emotionen der Figuren aus dem Bauch herauskommen, dann gelänge es auch, die Leser zu fesseln. So findet er es denn auch heroisch, wenn sich die Helden von der Stärke zur hin Schwäche entwickeln und nicht anders herum. In einer Welt, in der Stärke oder zumindest der Anschein von Stärke extrem weit oben rangiert, ist das eine ganz wunderbare Haltung, die er in seinem sechsten Roman perfekt umgesetzt hat.

Ansonsten hält er es mit dem ur-amerikanischen Konzept der Reise: Wenn etwas nicht richtig läuft, verreise. Die Reise als Problemlöser ist ihm wichtig. Nicht nur, weil er selbst gern verreist, sondern weil jede physische Reise auch immer eine emotionale Veränderung nach sich zieht, und so zumeist eine Reise zu sich selbst wird. Auch das spiegelt sich in Das Schicksal ist ein mieser Verräter ganz eindrücklich.

Die einzige Frage aus dem Publikum, die er mit einem kategorischen Nein beantwortete, war die, ob er je unter dem Pseudonym Peter Van Houten den Roman Ein herrschaftliches Leiden schreiben wird. Für diese große, intellektuelle Herausforderung sei er nicht gut genug, denn die Vorstellung von diesem Buch sei einfach unerreichbar. Das glaube ich ihm zwar nicht, aber auch er hat natürlich ein Recht, Fragen unbeantwortet zu lassen. Was ihn auf jeden Fall noch interessanter macht.

Fast ging es ein bisschen unter, dass es in seinem Buch auch um die Beziehung zwischen Autoren und Lesern geht. Und um die Dankbarkeit der Autoren gegenüber ihren Lesern. Diese Dankbarkeit könnten die Autoren nur sehr schwer äußern, behauptete er – doch John Green ist dies an diesem kurzweiligen Abend auf seine reizende, unaufgeregte, fast bescheidene Art perfekt gelungen!

John Green: Das Schicksal ist ein mieser Verräter, Übersetzung: Sophie Zeitz, Hanser Verlag, 2012, 287 Seiten, 16,90 Euro

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