An Jahresanfängen lassen sich sehr gut neue Pläne schmieden und Vorsätze fassen: Meiner für dieses Jahr lautet, die Märchensammlung der Brüder Grimm neu zu lesen. Denn am 20. Dezember jährt sich das Erscheinen der Kinder- und Hausmärchen zum 200. Mal, und die gehört seit 2005 zum Weltdokumentenerbe der UNESCO. Eine sehr passende Gelegenheit den Gründungsvätern der Germanistik meine Reverenz zu erweisen.
In den vergangenen Wochen hat mir bereits ein aktuelles Buch unglaubliche Lust auf die Grimm’schen Märchen gemacht. Der Eiserne König von John Henry Eagle ist nämlich so etwas wie die Fortsetzung der klassischen Märchensammlung. Hans und Sneewitt sind erwachsen geworden und müssen sich neuen Aufgaben stellen, jenseits von gefräßigen Hexen und bösen Stiefmüttern. Das Reich Pinafor ist in Gefahr. Der Eiserne König droht, wieder aufzuerstehen und die Macht an sich zu reißen. Die Protagonisten brauchen die Hilfe eines kleinen Mädchens, auf dessen Rücken ein Labyrinth tätowiert ist. Dieses führt sie zur lebensspendenden Esche. Unterstützt von Reineke Fuchs, Rumpenstünz und weiteren Gefährten ziehen die Helden durch ein verwunschenes Reich, um den drohenden Weltuntergang und die Schreckensherrschaft des Eisernen Königs abzuwenden.
Zwar habe ich mich manchmal in den vielen Kämpfen und Winkelzügen im Märchenwald etwas verlaufen, doch die herrliche Respektlosigkeit, die Sprachgewalt und der Witz, mit denen Eagle das große Abenteuer erzählt, zogen mich immer wieder neu in den Bann. Der Autor spielt geschickt mit den Hausmärchen, weckt Kindheitserinnerungen und kitzelt den Ehrgeiz, die Figuren richtig einzuordnen. Mir ist das – ich gebe es zu – nicht in allen Momenten gelungen. Umso mehr also jetzt das Verlangen, die Original-Märchen noch einmal genau nachzulesen.
Ganz wunderbar kann man das schon mal mit der bebilderten Fassung von Schneewittchen. Der französische Illustrator und Comic-Autor Benjamin Lacombe hat die Königstochter und die sieben Zwerge in surreal-poetischen Bildern neu erschaffen. Unschuldige Schönheit trifft dabei auf eine gruselig düstere Atmosphäre, in der Raben, Geier und Pelztiere interpretatorische Fragen aufwerfen … So mag das dünne Buch schnell wieder weggelegt sein, in Gedanken bleibt man jedoch lange bei den rätselhaften Bildern.
Eagles Märchen hingegen ist einfach eine fantastische Verneigung vor dem Werk von Wilhelm und Jacob Grimm.
John Henry Eagle: Der eiserne König, Fischer FJB, 2011, 650 Seiten, 19,95 Euro
Jacob und Wilhelm Grimm: Schneewittchen, Illustration: Benjamin Lacombe, Jacoby & Stuart, 2011, 48 Seiten, 16,95 Euro
Jacob und Wilhelm Grimm: Es war einmal … Die wahren Märchen der Brüder Grimm und wer sie ihnen erzählte. Hrsg. v. Heinz Rölleke und Albert Schindehütte, Die Andere Bibliothek, 2011, 435 Seiten, 79 Euro