Es reicht! Schluss mit dem Besserwissertum. Spätestens seit Liv Strömquists tiefschürfendem Comicessay Das Orakel spricht ist bekannt, warum manche Leute ungefragt Ratschläge geben und andere korrigieren. Es macht sie auf billige und schäbige Art selbst glücklich. Sie fühlen sich total toll dabei, wenn sie anderen Tipps zur Selbstoptimierung geben, kommen sich allwissend und gottgleich vor.
Dabei interessiert es sie nicht, ob den unfreiwilligen Rezipienten damit geholfen wird oder es sie glücklicher macht.
Aber warum nehmen die so Beratschlagten, vom Rat erschlagenen sich das so zu Herzen? Selbst kluge, selbstreflektierte und erfolgreiche Menschen wie eben Liv Strömquist sind nicht davor gefeit, an sich selbst und der Richtigkeit ihres Tuns zu zweifeln. Es ist zum Verzweifeln.
Selbstbewusste Spinne
Da wünscht man sich doch wie Selma zu sein. Selma ist eine kleine Spinne. Angesichts ihrer kunstvollen und individuellen Netze sagen die anderen Spinnen aber Selma, du machst das falsch!
Die Bilderbuchillustratorin Tini Malina hat sich die selbstbewusste und unbeirrbare Spinne ausgedacht und furios in Szene gesetzt. Schon auf den ersten Seiten sieht man, dass Selma etwas ganz Besonderes ist. Und das liegt nicht nur an ihrer kecken roten Baskenmütze. Wie alle ist sie ganz puristisch ein schwarzer Punkt mit acht Beinen und zwei Kulleraugen. Als einzige blickt sie die Betrachtenden direkt an.
Die Schönheit der Nacht, eingefangen in einem Netz
Ihre Netze sehen aus wie Mosaike oder Gemälde. Mal sind sie von fallendem Regen inspiriert. Mal fangen sie die Schönheit der Nacht mit eingewebten Sternen ein.
Tini Malina erzählt in doppelseitigen Bildern mit auf das Wesentliche reduzierten Strukturen und großflächig aufgetragenen, kräftigen, gedeckten Farben. Mal erscheint Selma winzig klein, vor allem wenn sie mutig zwischen Menschen herumkrabbelt. Mal zoomt Malina ganz nah an Selma heran und zeigt die Welt aus ihrer Sicht.
Riskieren, auch auf die Gefahr zu scheitern
Eigentlich würde die Hommage an die Individualität schon reichen für eine gute Geschichte. Dass Selma es nicht so macht, wie man es halt macht. Und es einfach probiert, auch auf die Gefahr hin zu scheitern. »Nur die Spinne, die riskiert, zu weit zu spinnen, kann herausfinden, wie weit sie spinnen kann.« Aber die achtbeinige Spinnerin will hoch hinaus. Sie will ein Kunstwerk erschaffen, dass alle sehen sollen.
Höher hinaus als gedacht
Wie sie dann unversehens weit höher über sich hinauswächst als gedacht, ist lustig und überraschend – und wird natürlich nicht verraten.
Tini Malinas Grundidee ist auf jeden Fall grandios: Einfach ignorieren, wenn die langweilige Mehrheit mal wieder meint, alles besser zu wissen und anderen Vorschriften macht. Dieses Bilderbuch ist wie alle lesenswerten Bücher wahre Kunst: es berührt einen und kann selbst jüngste Leserinnen und Leser ermutigen, sich nicht einschüchtern zu lassen und etwas Eigenes zu wagen. Ein Hoch auf Selma.
Tini Malina: Selma, du machst das falsch!, NordSüd Verlag, 2025, 48 Seiten, 18 Euro, ab 4
