Komplott am Kompost

Die Sonne verzog sich angewidert hinter dem Horizont. Ich wusste genau, wie sie sich fühlte. Hinter mir lag ein langer Tag, und er war noch nicht vorüber« So wunderbar abgebrüht beginnt Paul Shiptons Insektenkrimi Die Wanze. Und so schön schnodderig hat Andreas Steinhöfel ihn übersetzt.
Es beginnt wie ein klassischer Krimi: Der Käfer Mr. Muldoon, genannt die Wanze, einziger Privatdetektiv im Garten, erhält von drei Ohrwürmern den Auftrag nach ihrem verschwundenen Bruder zu suchen. Eddie spuckte große Töne, wollte raus, hat sich mit den falschen Leuten, ein paar Wespen, eingelassen und dabei anscheinend schließlich sein Leben gelassen. So alltäglich, typisch und traurig.

Etwas stimmt nicht mit den Ameisen

Doch was mit einem vermissten Krabbler angefangen hat, entwickelt sich zum ganz großen Drama. Erst sind es nur Andeutungen: »Na und? Wer wird heutzutage nicht vermisst?«, antwortet ein Harlekinkäfer, bevor er davonkrabbelt und sich wieder um seinen eigenen Kram kümmert. Die zuckersüchtige, immer gut informierte Stubenfliege Jack raunt, dass irgendwas Seltsames im Garten vorgeht: »Man erzählt sich, dass mit den A-ameisen was nicht stimmt.«

Was nicht auf der Speisekarte steht, wird auch nicht gefressen

Und tatsächlich: Nach dem unerfreulichen Tag braucht Wanze Muldoon einen ordentlichen Drink in Dixies Bar. Zu jedem richtigen Krimi und jeder guten Geschichte, selbstverständlich auch zur Krieg-der-Sterne-Saga, gehört immer eine echte Spelunke, wo nicht gefragt wird, wo jemand herkommt, wo man abschalten, vergessen oder nachdenken kann, je nachdem. Wo stillschweigende Waffenruhe herrscht und die Gesetze der Wildnis ausgesetzt sind, weil »was nicht auf der Speisekarte steht, wird auch nicht gefressen«.
Und genau hier wird der raubeinige Detektiv von völlig humorlosen Ameisensoldaten abgeholt und ins Nest zur sagenumwobenen, höchst imposanten Ameisenkönigin geführt. Die macht ihm ein Angebot, das er nicht ausschlagen kann. Entweder er sucht nach ein paar abtrünnigen, staatsgefährdenden Ameisen auf Solopfaden – oder er wird zu Larvenfutter.

Lässig kaltschnäuzig wie Marlowe, charmant penetrant wie Columbo, cool wie Bond

Die altersweise, strenge Matriarchin ist nur die erste einer Reihe von Charakteren, die direkt aus einem Shakespeare Drama entsprungen sein könnten: Sie steht für eine etablierte Weltordnung, ein friedenerhaltenes Kräftegleichgewicht, das durch machtgierige Militärs, korrupte Politiker, mordlüsternde Terroristinnen, brutale Schergen und willfährige Erfüllungsgehilfen bedroht wird. Durch Komplott, geplantes Attentat und die Errichtung einer Diktatur. Und durch Bequemlichkeit, Denkfaulheit und blinden Gehorsam.
Dem stehen eine Handvoll tapfere Einzelkämpfer entgegen: Allen voran der sympathische Schnüffler, lässig kaltschnäuzig wie Raymond Chandlers Philip Marlowe, mit der charmanten Penetranz eines Inspektor Columbo, super cool wie hart gesotten wie James Bond. Dazu gesellen sich kuriose Helden wider Willen, ebenso treue wie tapfere Gefährten und außerordentlich gewitzte Individualistinnen.

Zum Schluss die entscheidende Schlacht Gut gegen Böse

Frei nach Shakespeare: Es gibt mehr Dinge zwischen Gartenteich und Komposthaufen, als unsere glückliche Unwissenheit sich träumen lässt. Auf dem Weg zu des Rätsels Lösung und Aufklärung des komplexen Falles gibt es reichlich tollkühne Action. Mehr als einmal zieht Wanze Muldoon seinen Kopf aus der Schlinge, auch aus dem Netz der Spinne.
Zum Schluss gibt es eine entscheidende, gewaltige Schlacht Gut gegen Böse. Und einen allerletzten Zweikampf Gut gegen absolut Bösartig. Und die ganz wichtige Erkenntnis: »Individualismus ist nicht unbedingt etwas Schlechtes. Es gibt Zeiten, in denen er notwendig ist«, resümiert die gerettete Regentin. »Manchmal, so habe ich gelernt, muss man eigenständig denken, wenn man dem Nest dienen will. Wir sind Eins, doch dieses Eine besteht aus Vielen.«

Großer Gesellschaftsroman aus dem Mikrokosmos Garten

25 Jahre hat Paul Shiptons Insektenkrimi auf dem Käferpanzer. Aber angesichts globaler rechtspopulistischer Tendenzen und freiheitsgefährdender Entwicklungen allerorten ist er aktueller denn je. Die Wanze ist ein grandioser Gesellschaftsroman, kondensiert auf den Mikrokosmos Garten. Ganz großes Welttheater unter dem Brennglas. Und wer jetzt meint: »Ist doch nur ein Krimi«. Dem sei gesagt: Kriminalromane sind immer Spiegel ihrer Zeit. Nicht nur Hannah Arendt, eine der größten Denkerinnen aller Zeiten, wusste, warum sie Krimis las.

Paul Shipton: Die Wanze – ein Insektenkrimi, Übersetzung: Andreas Steinhöfel, Illustration: Axel Scheffler, Fischer KJB, 2020, 176 Seiten, ab 8, 12 Euro,

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