Memento mori

nostalgiaManchmal erreichen mich Bücher, die eigentlich für meine Buch- und Medienseite in der Zeitschrift stern Gesund Leben gedacht sein sollen. Doch obwohl ich dort mittlerweile relative Freiheiten genieße, achte ich schon darauf, dass die Bücher auf der Seite immer etwas mit Gesundheit, Sport und Ernährung zu tun haben. Im weitesten Sinne. Bei dem opulenten Fotoband Nostalgia von Sven Fennema gelingt es mir leider nicht so gut, einen Bogen zum gesunden Leben zu schlagen.

Dennoch geht mir bei diesem Konvolut das Herz auf, so dass ich hier nach langer Zeit mal wieder eine thematische Exkursion unternehmen muss. Ich bitte um Verständnis …
Architekturfotograf Fennema, aus dessen „Dunkelkammer“ diese Lichtbilder stammen, hat einen Faible für verlassene, vergessene Ort. Für diesen Band hat er im Norden Italiens Ruinen abgelichtet. Allerdings nicht die klassischen Ruinen der Antike, sondern Villen, Palazzi, Klöster, Kirchen, Krankenhäuser, Psychiatrien, Industriegebäude, aus denen das Leben gewichen ist und die in einen Dornröschenschlaf gefallen sind.

Vor allem das Innenleben der düsteren Gebäude, in denen der Putz von den Wänden bröselt, die Dächer bereits eingestürzt sind, altes Mobiliar verstaubt, macht Fennema durch sehr lange Belichtungszeiten und raffinierte Montage von unterschiedlichen Aufnahmen in hyperrealistischen Bildern wieder sichtbar. Farben erstrahlen wie frisch aufgetragen, Fresken und Stuckaturen tauchen aus dem Dunkel auf. Treppen führen ins Nichts, Pflanzen erobern sich die leeren Räume zurück.

Man staunt über die Pracht, die dort dem Verfall anheim gegeben ist. Man ahnt das Leben, das einst in diesen Wänden pulsierte. Man möchte es wiedererwecken, möchte sofort Hand anlegen, Pinsel schwingen, restauratorisch tätig werden, die Villen wieder hübsch machen, den Kirchen ihren Glanz zurückzugeben. Man wird nostalgisch, sehnsüchtig. Mir tut es in der Seele weh, dass vieles davon nicht zu retten ist.
Bei Psychiatrie und Krankenhaus gruselt es einen, ob der Zustände in denen früher „geheilt“ wurde. Die Industrieanlagen zeigen mit voller Wucht die unmenschlichen Arbeitsbedingungen von einst. Dann ist es wieder gut zu sehen und zu ertragen, dass nichts für die Ewigkeit gemacht ist, und Vergänglichkeit zu unserem Leben dazu gehört.

So beeindruckend und fesselnd die Fotografien sind, so gibt es für mich einen Wermutstropfen: die Bildunterschriften. Fennema hat zwar ganz bewusst auf die genaue Lokalisierung der Örtlichkeiten verzichtet, um keinen „Ruinen“-Tourismus zu provozieren. Da seit ein paar Jahren auch in unseren Landen Fotosafaris zu verlassenen Orten sehr beliebt sind – ich denke da an die Beelitzer Heilstätten – kann ich diese Entscheidung sehr gut verstehen. Aber ein paar mehr Infos und nicht nur im Bild offensichtliche Angaben hätte ich mir schon gewünscht. Dafür sind die abgebildeten Gebäude einfach viel zu interessant, um auf Plattitüden wie „In dem faszinierenden Palast schreitet der Verfall voran“ reduziert zu werden.
Zwischen den verschiedenen Gebäudearten gibt es zwar Texte von der Autorin Petra Reski, die normalerweise sehr schätze, doch tragen auch die nicht besonders viel Erhellendes zu den abgebildeten Objekten bei. Mir sind die Texte teilweise zu assoziativ und zu wenig mit den Fotografien verbunden. Fennemas Motive verleiten mit Sicherheit zum Assoziieren, zum Sich-Geschichten-Ausdenken und Träumen, aber das kann jeder Betrachter selbst.

Ich werde jetzt einfach in den Bildern schwelgen, meiner Fantasie freien Lauf lassen und eventuell bei meiner nächsten Italien-Reise nach solchen Perlen Ausschau halten und den vergangenen Zeiten nachhängen.

Sven Fennema: NostalgiaOrte einer verlorenen Zeit, mit Texten von Petra Reski, Frederking & Thaler, 2015, 320 Seiten, 98 Euro

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