Relativ neuen Erkenntnissen der Genforschung zufolge übertragen sich traumatische Erlebnisse nicht nur auf die Kinder, sondern auch auf die Enkel und möglicherweise sogar auf die Urenkel. Die Auswirkungen des zweiten Weltkrieges sind verhältnismäßig gut erforscht, die des ersten hingegen scheinen mehr und mehr aus unserem Fokus zu verschwinden. Doch spätestens im kommenden Jahr, wenn sich der Ausbruch des ersten Weltkrieges zum hundertsten Mal jährt, werden wir mit Dokumentationen, Spielfilmen, Serien wie Parade’s End und Büchern dazu überrollt werden.
Ein erstes Buch für Jugendlich zu dem Thema ist gerade herausgekommen: Feldpost für Pauline von Maja Nielsen. Es ist aus dem gleichnamigen Hörspiel entstanden, das 2009 mit dem Deutschen Kinderhörspielpreis ausgezeichnet wurde.
Die 14-jährige Pauline bekommt eines Tages Post: einen Feldpostbrief aus dem Jahr 1916 aus Verdun. Die Überraschung ist natürlich groß, fast hundert Jahre Verspätung für einen Brief kommt auch nicht alle Tage vor. Mühsam entziffert Pauline die in Sütterlin geschriebene Nachricht eines gewissen Wilhelm an Pauline, in diesem Fall die Urgroßmutter des Mädchens. Die Liebeserklärung von Wilhelm weckt Paulines Neugierde, was damals in den düstersten Zeiten des ersten Weltkrieges eigentlich geschehen ist und was es mit der Geschichte um Wilhelm und Pauline eigentlich auf sich hat.
Das Mädchen Pauline trifft sich mit ihrer Großmutter Lieschen, und gemeinsam stöbern Großmutter und Enkelin in alten Briefen und Paulines Tagebuch. Großmutter erzählt, was sie von ihrer Mutter weiß, und so wird der Schrecken des Großen Krieges wieder lebendig. Wilhelm schreibt in Briefen vom Drill in der Kaserne, vom Leben im Schützengraben, von der Materialschlacht in Verdun. Pauline notiert in ihrem Tagebuch, wie von schrecklich verletzt die Soldaten sind, die sie zu versorgen hat, und welche Angst sie um den geliebten Wilhelm hat. Die Liebe für einander und Wilhelms Liebe zur Musik trägt die beiden durch die Kriegsjahre.
Eingebettet in die gegenwärtige Geschichte der jungen Pauline, die eine begnadete Cello-Spielerin und gerade unglücklich in Nick verliebt ist, entsteht eine Verbindung zu den Geschehnissen von vor hundert Jahren. Wilhelm spielte Cello und rettete sich damit vor den Franzosen, Pauline hat diese Leidenschaft von ihm geerbt. Durch die Nachmittage mit der Großmutter wird ihr bewusst, was im Leben wirklich zählt.
Die Schrecken des ersten Weltkrieges sind in Feldpost für Pauline durchaus drastisch geschildert. Die Idee, über Feldbriefe und Tagebuch-Einträge die Stimmen aus der Vergangenheit wieder lebendig werden zu lassen, funktioniert gut, zumal Maja Nielsen durch die Rahmenhandlung einen Bezug zur heutigen Lage Deutschlands als Kriegsteilnehmer in Afghanistan zieht. Sie schärft damit nicht nur das Bewusstsein für die deutsche Geschichte, sondern auch für die Soldaten, die heute am Hindukusch kämpfen.
Dieses Anliegen finde ich so wichtig, dass ich hier über die manchmal etwas betuliche Erzählart hinwegsehen konnte. Das Mädchen Pauline erzählt mir in ihrer Ich-Perspektive hin und wieder zu aufgesetzt jugendlich.
Feldpost für Pauline ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie man den Teenies von heute auch den ersten Weltkrieg näher bringen kann. Und dass der auf die eine oder andere Art immer noch in uns nachwirkt, dürfte unbezweifelbar sein.
Maja Nielsen: Feldpost für Pauline, Gerstenberg Verlag, 2013, 96 Seiten, ab 13, 9,95 Euro