Das Bild der Frau an sich ist seit etwas 2000 Jahren ein ziemlich stereotypisches und unterwürfiges. Ein Bild, das von Männern in die Welt gesetzt wurde. Dies stellt Ulli Lust in ihrem neuen Sachcomic Die Frau als Mensch gleich zu Anfang fest. Und macht sich auf, die Ursprünge der Frauen-Darstellung zu erkunden.
Denn mehr als 30.000 Jahre kursierten auf der Erde kleine Statuetten, die ein ganz anderes Bild der Frau zeigten: breite Hüften, große Brüste, keine Zeichen von Scham oder Unterwerfung. Während der Eiszeit gab es diese kleinen Figuren, die meist nur wenige Zentimeter groß waren, von Südfrankreich bis nach Sibirien und die Wissenschaft – vornehmlich die männlichen Archäologen – rätselten, was es mit diesen Figurinen auf sich hatte.
Als Göttinnen verehrt
In diesen Zeiten, vor Erfindung der Schrift, fehlten ikonische Männerfiguren bzw. -bilder. So ging man davon aus, dass des sich bei den Statuetten um Darstellungen von Göttinnen handelt. Dennoch drehten die Wissenschaftler es so, als zeigten gerade diese Figuren die Unterlegenheit und Schwäche der Frauen. Denn angeblich konnten Frauen nicht jagen. Die Darstellungen wurden als schamlos und unzüchtig angesehen. Frauenfeindliche und antisemitische Vergleiche waren an der Tagesordnung.
Überholtes Denken richtig stellen
Ulli Lust räumt nun mit diesen überholten Argumentationen auf und geht dabei in der Geschichte sehr weit zurück. Sie rekapituliert die Urgeschichte der Menschen, schildert die neuesten Erkenntnisse aus Grabfunden und die einstigen Fehlinterpretationen. Dies führt sie zur Betrachtung des menschlichen Sozialverhaltens und den Ursprüngen unseres Zusammenlebens vor Tausenden vor Jahren.
So wird aus einem vermeintlichen kunsthistorischen Sachcomic ein Werk über die Wurzeln der Menschen und unseren Gesellschaften.
Die Frau – mehr als Mann denkt
Ulli Lust erzählt dabei auch von den überlieferten Mythen verschiedener Gesellschaften, dem Einsatz von roter Ockerfarbe und ihrer Funktion, den vermutlichen Anfängen von Kunst, der Notwendigkeit, Kleidung zu erfinden und dem Wandel des Klimas über die Jahrtausende. Dazu kommt das Bedürfnis der Menschen am Erzählen und Klatschen, was der Vermeidung von gewalttätigen Auseinandersetzungen diente, und die Neugierde auf Fremde, die in der Gemeinschaft aufgenommen wurden und denen man auf jeden Fall half.
Diese Fülle an Informationen fügt sich zu einer spannenden Lektüre, die nicht nur das Verhältnis zwischen den Geschlechtern zurechtrückt. So wird die Menstruation als etwas Verehrungswürdiges gezeigt, Frauen gingen durchaus jagen und haben vermutlich auch die Statuetten geschaffen. Zudem gab es schon damals trans Menschen, die als Schamanen verehrt wurden. Ohne die Frauen und ihre vielfältigen Beiträge zum Alltag hätte die Menschheit nicht überlebt.
Lektion für die Gegenwart
Dieser Blick in die fernste Vergangenheit der Menschen ist überaus erhellend und hat so viel mit unserer Gegenwart zu tun, dass man sich wünscht, eine Rückbesinnung auf unsere weltweit gemeinsamen Wurzeln würde heute viel öfter stattfinden. Es gibt so viel, dass wir in der Behandlung und Betrachtung von Frauen ändern müssen – wahrscheinlich ist es utopisch zu glauben, dass das jemals geschehen wird. Aber Ulli Lusts Sachcomic Die Frau als Mensch, von dem es demnächst einen zweiten Teil geben wird, erinnert uns eindringlich daran, dass das herrschende Ungleichgewicht nicht natürlich ist – und schon gar nicht sinnvoll.
Ulli Lust: Die Frau als Mensch. Am Anfang der Geschichte, Reprodukt, 2025, 254 Seiten, 29 Euro