[Jugendrezension] Gefährliches Spiel

panicPanic, so heißt das verbotene Spiel. Jeder Schulabgänger, der Mut hat, macht mit. Alle zahlen ein, aber nur einer kann gewinnen. Die Siegprämie beträgt diesmal 670.000 Dollar und ist die Eintrittskarte in eine bessere Zukunft.
Heather könnte von ihrer drogen- und alkoholabhängigen Mutter weg. Für sie und andere ist das Spiel die Chance auf ein unbeschwertes Leben. Doch sie ahnt nicht, worauf sie sich einlässt: Um zu gewinnen, müsste sie lebensgefährliche Aufgaben bestehen.
Bald steigern sich ihre Probleme. Heather leidet unter der Trennung von ihrem Freund und hat große Schwierigkeiten zu Hause. Kurzerhand reißt sie mit der kleinen Schwester aus und lebt obdachlos auf der Straße. Nun ist ihre einzige Hoffnung der Sieg bei Panic. Sie legt alles daran, zu gewinnen. Selbst im Angesicht des Todes.

Der andere Protagonist des Buches ist Dodge. Er lebt mit seiner behinderten Schwester Dayna und seiner Mutter in einem verfallenen Haus. Auch er will seinen Verhältnissen entfliehen, indem er an Panic teilnimmt.

Panic – Wer Angst hat, ist raus! von Lauren Oliver ist ein unglaublich fesselnder Roman. Die Geschichte ist abwechselnd aus den Erzählperspektiven von Heather und Dodge geschrieben. Dadurch bekommt man zwei Sichtweisen auf die Geschichte vermittelt, was das Ganze noch spannender macht.
Ich würde das Buch auf jeden Fall weiterempfehlen, es ist sehr aufregend. Es ist außerdem gar nicht so unrealistisch. Vielleicht gibt es oder gab es schon irgendwo einmal ein ähnliches Spiel …

Katharina (13)

Lauren Oliver: Panic – Wer Angst hat, ist raus! Übersetzung: Katharina Diestelmeier, Carlsen, 2014, 368 Seiten, ab 13, 17,99 Euro

[Jugendrezension] Rätselhafter Tod

sanneLiam und Louise werden aneinander gekettet in einem See gefunden. Sie sind tot und keiner kann sich erklären, was die beiden in den Tod getrieben hat, denn sie waren glücklich. Sie waren ein Paar und hatten immer viel Spaß zusammen gehabt. Jeppe, der beste Freund von Liam, war auch oft bei ihnen.
Alles war in Ordnung, bis Liam und Jeppe auf einen Drogendealer treffen. Ab nun verkaufen die beiden Drogen für ihn. Es läuft gut, doch plötzlich passiert Jeppe ein Fehler, und die Jugendlichen müssen handeln.
Denn ist nichts so, wie es war, und Liam und Louise müssen Entscheidungen treffen, die ihr Leben für immer verändern werden, denn sie sind auf der Flucht. Als sie schließlich tot im See gefunden werden, sind ihre Eltern ratlos. Niemand weiß, was passiert ist und so versuchen sie, Hinweise zu finden, um den Tod von Liam und Louise zu verstehen.

Das Buch Wir wollten nichts. Wir wollten alles von Sanne Munk Jensen und Glenn Ringived ist wirklich gut. Anfangs war es etwas seltsam, denn es ist aus der Sicht von Louise geschrieben, aber als ich mich reingelesen hatte, fand ich wirklich Gefallen daran.

Man erfährt auf der einen Seite, die Geschichte von Liam und Louise und auf der anderen Seite auch die der Familie, die sie vermisst und sich nach einer Erklärung für alles sehnt. Nach und nach löst sich so das Rätsel. Auf diese Lösung hat man das ganze über Buch gewartet, denn bereits im ersten Kapitel werden die zwei Leichen von Liam und Louise gefunden. Deswegen bleibt die Frage, warum sie tot im Wasser liegen, während der ganzen Lesezeit offen.

Insgesamt finde ich das Buch richtig toll und kann es nur weiterempfehlen.

Laura (15)

Sanne Munk Jensen/Glenn Ringtved: Wir wollten nichts. Wir wollten alles, Übersetzung:  Ulrich Sonnenberg, Oetinger, 2015, 336 Seiten, ab 16, 16,99 Euro

[Jugendrezension] Zukunftsrätsel

stewnerDie Zukunft ist eine wirklich spannende Zeit. In dem Buch Der Sommer in dem die Zeit stehen blieb von Tanya Stewner geht es um das Mädchen Juli.
Juli lebt mit ihren stinkreichen Eltern in einem noblen Viertel, außerdem ist sie superschlau und schreibt in der Schule immer Einsen. Davon abgesehen ist ihr Leben sehr unspektakulär, denn Juli und ihre beste und einzige Freundin Whoopie sind ziemliche Nerds und werden deshalb von den anderen ausgeschlossen.
Doch Julis Leben bleibt nicht lange so langweilig. Als sie mal wieder zum Nachdenken auf „ihrer“ Lichtung ist, bekommt sie dort plötzlich Besuch. Ein, wie sie findet, bildhübscher Junge, steht auf einmal neben ihr. Er scheint verwirrt, doch nach einiger Zeit verrät er ihr seinen Namen: Anjano. Doch zu der Frage, wo er herkommt und warum er so anders spricht, sagt er, er dürfe es nicht verraten. Durch Zufall trifft sie ihn wieder und alles wird noch merkwürdiger, denn nur Juli kann mit ihm reden …
Als sie Whoopie etwas von Anjano erzählen will, geschehen so viele komische Dinge, dass Juli bei den Geschehnissen nicht mehr an zufällige Ereignisse glaubt … Kommt Anjano vielleicht aus der Zukunft?
Doch wer Anjano wirklich ist, ob er tatsächlich aus der Zukunft kommt und was es mit den vielen Zufällen auf sich hat, dass musst du schon selbst herausfinden …

Ich finde das Buch Der Sommer in dem die Zeit stehen blieb sehr spannend, denn ich wollte unbedingt wissen, wer Anjano nun wirklich ist, insbesondere auch, da er zwischendurch immer wieder verschwindet. Ich habe die ganze Zeit gespannt darauf gehofft, dass er bald wieder auftaucht.

Meiner Meinung nach passt der Titel Der Sommer in dem die Zeit stehen blieb nicht wirklich zum Inhalt des Buches. Außerdem hatte ich beim Lesen zunächst Schwierigkeiten, mich in die Geschichte einzufinden. Nachdem ich dann aber „in der Handlung angekommen war“, fiel es mir schwer, das Buch wieder wegzulegen.
Ich empfehle das Buch Mädchen zwischen 11 und 15 Jahren, denen spannende und auch ein wenig mystische Geschichten gefallen.

Bücherwurm (13)

Tanya Stewner: Der Sommer, in dem die Zeit stehenblieb, FISCHER KJB, 2. Aufl. 2015, 320 Seiten,  ab 12, 14,99 Euro

Die Qualen einer Flucht

train kidsNeulich läuteten in Köln und Umgebung die Glocken im Gedenken an die Flüchtlinge, die seit dem Jahr 2000 im Mittelmeer, vor den Grenzen Europas, umgekommen sind. 23000 Mal erklangen die Glocken, für jeden Toten ein Glockenschlag. Eine schöne Geste, aber längst wieder verhallt.
Dass es nicht nur im Mittelmeer Flüchtlinge gibt, die ihr Leben riskieren, weil sie sich in der Ferne ein menschenwürdigeres Leben erhoffen, ist bekannt. Eine Art der Flucht holt uns Dirk Reinhardt mit seinem Roman Train Kids eindrücklich ins Bewusstsein.

Die Jugendlichen Miguel, Fernando, Emilio, Angel und das Mädchen Jaz machen sich von der Südgrenze Mexikos auf nach Norden. Auf Güterzügen wollen sie bis nach Nuevo Laredo an der Grenze zu den USA gelangen, um von dort illegal in das anscheinend gelobte Land einzuwandern. Jeder von ihnen hat gute Gründe, die Heimat in Guatemala, El Salvador oder Honduras zu verlassen. In den USA hoffen sie, Verwandte wiederzufinden, Mütter oder Brüder, und endlich ein besseres Leben ohne Elend und Hunger führen zu können. Doch der Weg dorthin ist lang, beschwerlich und gespickt mit Gefahren.

Fernando, der die Tour bereits einmal gemacht hat und von den mexikanischen Behörden erwischt und zurückgeschickt wurde, wird zum Leitwolf der Gruppe. Gemeinsam haben die Kids bessere Chancen durchzukommen, denn Fernando weiß, wo die Gefahren lauern und wie man sie am besten umgehen kann. Die Jugendlichen lernen das Aufspringen auf die Züge, wie man sich vor Ästen und Hochspannungsmasten schützt, wie man Tunnel übersteht, im Fahren Orangen pflückt. Doch trotz aller Vorsicht und aller Warnungen von Fernando bleibt es nicht aus, dass sie Banditen, Drogenhändlern und Polizisten in die Hände fallen. Sie müssen Schutzgelder zahlen, werden erpresst und ausgeraubt. Sie leiden Hunger und Durst, frieren nachts in der Wüste und in den Bergen, aber sie erleben auch die Hilfsbereitschaft eines Pastors und seiner Gemeinde und von der einfachen Landbevölkerung. Und die Freundschaft in der Gruppe. Dennoch schaffen es nicht alle der fünf es bis an die Grenze …

Reinhardts Buch fesselt und macht gleichzeitig betroffen, denn das, was er erzählt entspricht den Tatsachen. Reinhardt hat vor Ort in Mexiko recherchiert, mit realen Train Kids gesprochen und ihren Leidensweg hautnah nachvollzogen. Etwa 50 000 von diesen Kindern sind ständig in Mexiko unterwegs, schreibt Reinhardt in seinem Nachwort. Laut Amnesty International gehört die Flucht auf den Güterzügen durch das Land zu den gefährlichsten Fluchten der Welt. Nur ein Bruchteil der Flüchtlinge erreicht das Ziel. Warum das so ist, weiß man nach der Lektüre von Train Kids ziemlich genau.

Reinhardts Quintessenz aus seinem Nachwort, gilt jedoch nicht nur für Mittelamerika: „Will man wirklich etwas tun, um dieses Problem anzugehen, so kann die Lösung nicht darin bestehen, die Grenzen abzuriegeln und Migranten zu jagen, als wären sie Kriminelle. Langfristig ist es sinnvoller die Wirtschaft in den [jeweiligen] Ländern zu stärken und die Armut zu bekämpfen.“ Ist das wirklich so schwierig?

Dirk Reinhardt: Train Kids, Gerstenberg Verlag, 2015, 320 Seiten, ab 13, 14,95 Euro

[Jugendrezension] Düstere Visionen im viktorianischen London

madisonSeit langem habe ich kein Buch mehr gelesen, über das ich so eine gemischte Meinung hatte, wie Madison Mayfield –Die Augen des Bösen von Rainer M. Schröder.

Protagonistin des Romans ist die 17-jährige Madison, die seit dem tragischen Tod ihrer Eltern bei ihren Verwandten im London des Jahres 1890 ein trostloses Dasein fristet. Zwar können ihr reicher Onkel und ihre Tante ihr materiell alles bieten, doch spürt Madison permanent, dass sie unerwünscht ist. Besonders ihre Cousinen machen ihr das Leben schwer.

Doch damit nicht genug, denn seit einem schweren Unfall wird Madison immer wieder von anfallartigen Visionen heimgesucht. Diese Visionen zeigen Madison grausame Morde – durch die Augen des Täters! Von ihrer Umwelt wird Madison zunächst verrückt gehalten. Für einige Wochen wird sie in eine Irrenanstalt eingeliefert. Madison ist heilfroh, als sie endlich entlassen wird. Doch ihre mysteriösen Anfälle haben sich herumgesprochen. Bald wird Madison von einem ehemaligen Scotland-Yard-Detective namens Blake Scarboro aufgesucht. Er glaubt, dass Madisons Visionen die Zukunft zeigen. Die Morde, die sie gesehen hat, sind tatsächlich verübt worden. Madison ist zunächst skeptisch. Doch Scarboro ist nicht der Einzige, dem Madisons Visionen zu Ohr gekommen sind …

Die Bücher von Rainer M. Schröder habe ich schon immer mit Vergnügen gelesen, da ich großer Fan von historischen Büchern bin. Als ich dann auch noch London, viktorianisches Zeitalter und Scotland Yard hörte, war ich sofort Feuer und Flamme. Doch muss ich sagen, dass es mir nicht immer leicht gefallen ist, die Geschichte zu lesen. Besonders am Anfang fand ich es schwer, mich an Schröders Schreibstil zu gewöhnen. Schröder ist für seine ausgeschmückten Beschreibungen bekannt, das war in seinen bisherigen Büchern auch so. Bisher hat mich das nie gestört. Diesmal war es anders. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich älter geworden bin und in letzter Zeit viele Bücher mit einfachem, knappen Satzbau gelesen habe, oder dass Schröder vielleicht tatsächlich anders geschrieben hat. Mir kam es so vor, als stünde vor fast jedem Nomen mindestens ein Adjektiv. Manche davon empfand ich als unnötig, wie zum Beispiel „dunkler Schatten“. (Ich habe noch nie einen hellen Schatten gesehen).

Auf der anderen Seite muss man sagen, dass Schröders Beschreibungen stets bis ins kleinste Detail recherchiert sind. Man merkt, dass Schröder sich ein fundiertes Wissen über die Zeit angeeignet hat. So erwacht das viktorianische London zum Leben. Ich konnte beim Lesen förmlich die Menschen und die Straßen sehen. Und obwohl ich zu behaupten wage, schon einiges über diese Epoche zu wissen, konnte ich noch vieles dazulernen. Zum Beispiel über Irrenanstalten und die Behandlung psychisch kranker Menschen (sehr schockierend!), aber auch über Indien und die Sikhs, sowie Priesterlöcher, als auch die irische Freiheitsbewegung, und noch so viel mehr. Es muss eine Heidenarbeit gewesen sein, all diese Informationen zusammenzutragen. Aber das ist es gerade, was einen historischen Roman ausmacht: nicht bloß Fakten, die kann einem auch ein Schulbuch vermitteln, die Zeit muss zum Leben erweckt werden! Man muss sie riechen, schmecken und spüren können. Das gelingt Rainer M. Schröder wie keinem anderen und macht ihn in meinen Augen zu einem der größten Autoren historischer Literatur in Deutschland.

Mit Madisons Visionen hat er dieser Geschichte ein Fantasy-Element hinzugefügt. Ich fand es gut. Es hat zu der Geschichte gepasst und sie noch interessanter gemacht. Überhaupt kann man sagen, dass die Handlung nur schwer vorhersehbar war und immer wieder überraschende Wendungen bot.

Die Charaktere der Hauptperson und auch von vielen Nebenpersonen sind vielschichtig und faszinierend. Einige Charaktere sind meiner Meinung nach wiederum zu blass geblieben, wie zum Beispiel Blake Scarboro. Auch Duffy war mir ein ewiges Rätsel und erinnerte mich eher an ein Kinderbuch, als an ein Buch für junge Erwachsene.

Vielleicht hätte der Geschichte ein bisschen weniger Handlung gut getan. Es sind so viele Handlungsstränge miteinander verflochten, dass man bei einigen Sachen nur an der Oberfläche bleiben konnte. Manchmal fand ich es unglaubwürdig, wie sich Personen verhielten. Zudem hätte ich mir ein anderes Ende für Madison und Leona gewünscht. Aber dann gab es in dem Buch auch wieder unglaublich starke Szenen.

Auch wenn mein Feedback nicht durchweg positiv ausgefallen ist, bereue ich es nicht, das Buch gelesen zu haben. Zwar hätte ich mir ein paar Sachen anders gewünscht, aber im Großen und Ganzen war die Handlung interessant und abwechslungsreich und mal etwas erfrischend anderes. Außerdem sollte ein Fan von historischer Literatur das Buch schon allein wegen der tollen Beschreibungen lesen!

Juliane (16)

Rainer M. Schröder: Madison Mayfield – Die Augen des Bösen, cbj, 2014, 512 Seiten,  ab 12, 18,99 Euro

Wer hat an der Uhr gedreht …

antonEin Leben ohne Uhr – wäre eigentlich überaus erstrebenswert, aber leider nicht sehr hilfreich. Das weiß man als Erwachsener, nur zu gut. Für Kinder ist die Zeit bis zu einem gewissen Alter ein Mysterium, zwischen Unendlichkeit und rum in null Komma nix. Davon erzählt das schnuckelige Buch Anton hat Zeit von Meike Haberstock.

Anton versteht sich normalerweise ziemlich gut mit seiner Mama. Nur an manchen Tagen läuft alles schief, wenn er wieder einmal etwas sehr gründlich gemacht hat, weil Mama das so wollte. Aber dann hat Mama auf einmal keine Zeit mehr und die beiden müssen die Treppen hinunterrennen, um pünktlich zu sein.
Dann fühlt sich Anton schrecklich, hat einen blöden Kugelfisch im Bauch und versteht die Welt nicht mehr. Mama kann zwar erstaunlich viele Dinge gleichzeitig machen und fragt sich doch ständig, wo die Zeit nur geblieben ist.
Aber Anton erkennt auch, dass nicht nur Mama ein Problem mit der Zeit hat, sondern scheinbar alle Erwachsenen, der Schulbusfahrer, die Betreuerin aus dem Hort, die schreckliche Mutter von Antons Freundin Marie. Nicht mal für ein Spontanbegräbnis eines Eichhörnchens bleibt ausreichend Zeit. Das ist alles überaus merkwürdig.
Hilfe liefert schließlich Antons Opa, der sich Zeit nimmt.

Liebevoll und voller Witz führt Meike Haberstock junge Leser an das Thema Zeit heran. Es geht nicht darum, die Uhr lesen zu lernen, sondern um das Bewusstsein, dass es so etwas wie Zeit gibt. Mit einem großen Augenzwinkern hält sie dabei den Erwachsenen den Spiegel vor, die aus welchen Gründen auch immer nie Zeit haben. Hier lernen folglich Groß und Klein etwas.
Damit bei der Lektüre keinem die Zeit zu lang wird, hat die Autorin die Geschichte gleich auch noch mit entzückenden Illustrationen und frechen Sprechblasen angereichert. Vor jedem Kapitel steht zudem, wie lange man für das Lesen brauchen wird, jedoch nicht in minütlichen Einheiten, sondern in Tätigkeiten, wie Rechenaufgaben lösen, Schokotorte in sich reinstopfen oder auf einen Apfelbaum klettern. Schon da fängt man an zu grübeln, warum man als Erwachsener alles in Stunden und Minuten abmessen und einteilen muss, anstatt der eigentlichen Tätigkeit den Zeitraum zu geben, den sie eben braucht. Könnte man mal drüber nachdenken …

Meike Haberstock: Anton hat Zeit – Aber keine Ahnung warum, Oetinger, 2015, 112 Seiten, ab 6, 12,99 Euro

[Jugendrezension] Unzertrennlich

lilly„Ich liebe dich April. Ich liebe dich so sehr, dass ich in der Klinik einbrechen würde, um dich da rauszuholen und zurück nach Hause zu bringen.“

Phoebe und April aus dem Roman Was fehlt, wenn ich verschwunden bin von Lilly Lindner sind Geschwister und lieben sich, trotz kleiner Streitigkeiten, sehr.

Gegenseitig geben sie sich Halt, in einer Familie, die nicht mehr funktioniert, denn ihre Eltern sind maßlos überfordert. Deshalb reagieren sie in den meisten Situationen auch falsch. In den Momenten, in denen ihre Kinder Halt bräuchten, geben sie ihnen keinen. Als April in eine Klinik kommt, weil sie magersüchtig ist, fühlt sich Phoebe oft alleine, obwohl sie ihre guten Freundinnen hat.
Zu Hause ist nichts mehr, wie es vorher war. Das Mädchen wird nicht mehr von ihren Eltern verstanden. Ihr Vater arbeitet viel und ihre Mutter strickt nur noch. Phoebe will auf jeden Fall Kontakt mit April halten, deshalb schreibt sie oft Briefe an sie. Selbst wenn April nicht antwortet, schreibt sie trotzdem immer weiter. Sie erzählt von ihrem Leben zu Hause, von ihren Eltern und Freunden und von den schönen Erinnerungen mit April. Sie vermisst ihre große Schwester sehr und hofft, dass sie bald wieder zurück nach Hause kommt.

Was fehlt, wenn ich verschwunden bin von Lilly Linder ist ein trauriges und herzzerreißendes Buch. Die Beziehung zwischen Phoebe und April ist so stark, dass sie unzertrennlich scheint.

Diesen Roman zu lesen war sehr schön, denn er zeigt, wie sehr sich Geschwister lieben können, wenn sie getrennt sind und nicht mehr den ganzen Tag beisammen sind. Gleichzeitig war das Buch nicht nur angenehm, sondern auch sehr traurig, denn es wurde auch von der schlimmen Krankheit Magersucht erzählt. Da Lilly Lindner einen ganz eigenen Schreibstil hat und das Buch nur in Briefen geschrieben ist, kann man es rasch in einem Zug durchlesen. Wegen all diesen guten Sachen kann ich dieses Buch nur weiterempfehlen.

Laura (15)

Lilly Lindner: Was fehlt, wenn ich verschwunden bin, FISCHER Kinder- und Jugendtaschenbuch, 2015, 400 Seiten, ab 14, 9,99 Euro

Liebenswert-hinreißend-absurder Fantasy-Quark

ffordeAuf Wikipedia werden die Romane von Jasper Fforde mit dem schnöden Label „Alternativweltgeschichten“ versehen. Kann man machen, trifft es aber nur rudimentär. Ich wäre geneigt, eher von literarisch-absurd-intertextuellem-urkomisch-ironischem-Größenwahn zu sprechen.
Jetzt ist endlich Ffordes Jugendroman Die letzte Drachentöterin auf deutsch erschienen, übersetzt von Isabel Bogdan. Und auch der haut genau in diese Kerbe.

Wie in Ffordes Thursday-Next-Reihe spielt die Drachentöterin in einem zerfallenen Ununited Kingdom, von dem man noch Reste des britischen Empires zu erkennen meint, dann aber doch wieder durch die wahnwitzigen Absurditäten auf völlig andere Fährten gesetzt wird. Lässt man sich darauf ein, erlebt man das Abenteuer von Jennifer Strange, fast 16. Sie leitet Kazam, die Vermittlungsagentur für Magier, und betüddelt alternde Zauberer, die sich gegen das Abklingen der Magie und billigere Konkurrenten wehren müssen.
Als die Präkogniker eines Tages den Tod des letzten Drachen voraussagen, ändert sich Stranges beschauliches Leben schlagartig, denn sie ist ausersehen, das Schuppentier ins Jenseits zu befördern. Der Drache Maltcassion selbst lebt in einem abgegrenzten Reich, dessen magisch abgesicherte Hochspannungsgrenze jeden Eindringling, außer der Drachentöterin, sofort verpuffen lässt.  Nach seinem Tod jedoch würde diese Grenze fallen und das weite, unberührte Land könnte von Siedlern besetzt werden.
Da sich die Nachricht von Maltcassions bevorstehenden Tod natürlich in Windeseile herumspricht, sammeln sich die Menschen an der Grenze zum Drachenland, die Könige verschiedener Länder versuchen bei Strange, der auf einmal wichtigsten Person in Ununited Kingdom, Strippen zu ziehen und ihre Macht spielen zu lassen, Medien und Sponsoren stürzen sich auf sie … nur hat Jennifer Strange ganz andere Dinge im Sinn.

Plotmäßig kann ich hier natürlich nicht mehr erzählen, das wäre doch zu fies. Allerdings sei gesagt, dass es Fforde mit einer faszinierenden Leichtigkeit, die auch der frech-forsch-flappsigen Übersetzung von Isabel Bogdan geschuldet ist, sprechende Fantasy-Drachen-Smaug-Reminiszensen so mit Medien- und Gesellschaftskritik zu verheiraten, dass es eine Wonne ist. Die Gier von Regierenden, Medienschaffenden und normalem Volk trifft auf ein kämpferisches Mädchen, das sich von nichts und niemandem einschüchtern lässt und auch auf scheinbar unabänderliche Voraussagen pfeift. Man kann nicht anders, man schließt Jennifer Strange ins Herz – zusammen mit ihrem merkwürdigen tierischem Begleiter, dem furchterregend aussehenden, aber zutiefst sanftmütigen Quarktier.

Die Absurditäten in Ffordes Geschichten (Marzipan als Droge, Bananen zum Schwerterschleifen, Magier, die Leitungen verlegen und anderes mehr) und der Ideenreichtum des Autors suchen meines Erachtens seines Gleichen. Und unterhalten ganz vorzüglich. So finde ich es sehr bedauerlich, dass längst nicht alles von Jasper Fforde auf deutsch erschienen ist. Ich kenne eigentlich keine andere Fantasy-Literatur, die so grandios mit Verweisen auf andere literarische Werke (die ich hier beileibe nicht alle erkannt habe, was aber dem Vergnügen überhaupt keinen Abbruch tut) spielt und gleichzeitig die absurden Auswüchse unserer Gesellschaft aufdeckt. Davon will ich mehr. Möge also „The Song of the Quarkbeast“, der Nachfolge-Band der Drachentöterin, nicht erst in drei Jahren hier zu lesen sein …

Jasper Fforde: Die letzte Drachentöterin, Übersetzung: Isabel Bogdan,  Lübbe ONE, 2. Aufl. 2015, 252 Seiten, ab 14, 14,99 Euro

[Gastrezension] Auf der Suche nach dem Vater

„Hugo wusste ja gar nicht, dass er Vater war. Plötzlich tat er mir leid, denn eigentlich war es wie bei Hunden. Wenn man einen kleinen Hund bekam, musste man ihm beibringen, dass er nicht drinnen pinkeln durfte und ordentlich an der Leine laufen musste. Genauso mussten Väter viel lernen. Sie durften nicht auf der Straße singen, nicht komisch mit der Kellnerin rumscherzen und keine doofen Klamotten tragen“, überlegt der zehnjährige Samuel, der in den Ferien einem Mädchen hilft, ihren Vater kennenzulernen. Eine erfrischende Neuinterpretation des alten Spruchs „Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr“ ist diese wunderbar seltsame Woche mit Tess. Und ebenso der furiose Roman Fünf Dinge, die ich über meinen Vater weiß. In diesen zwei Büchern, übrigens beide von jungen Niederländerinnen geschrieben, suchen Mädchen nach ihren Vätern – ein klassisches Thema, das in Zeiten moderner Familienstrukturen und Lebensformen spannend und herzzerreißend schön erzählt wird.

So weiß Kiki njongmanur fünf Dinge über ihren Vater, genau genommen nicht mal die mit Sicherheit, da sie lediglich auf vagen Erinnerungen ihrer Mutter beruhen. Weil das der 14-Jährigen aber nicht reicht, macht sie sich mit ihrer besten Freundin Lottie, einer begnadeten Zeichnerin aus einer glücklichen Familie, auf die Suche, nach dem Mann, der mehr sein soll als nur ihr Erzeuger. Außerdem hilft ihr Wieger, Exfreund der Mutter, der lange liebevoller Ersatzpapa war, jetzt aber eine eigene Familie und dementsprechend weniger Zeit hat.

Bassist soll Kikis biologischer Vater gewesen sein, und so sammeln die Mädchen Merkmale von bassspielenden Bandmusikern für ein Porträt. Dabei lernen sie die unterschiedlichsten Typen kennen, treten in einige Fettnäpfchen, gewinnen bleibende Eindrücke unter Alkohol, werden nach einem Einbruch verhaftet und stellen ihre Freundschaft auf eine harte Probe. Kiki erzählt flott in raffinierten Zeitsprüngen, mit viel Wortwitz und Selbstironie. Nebenbei spielt Mary Shelleys Roman Frankenstein eine Rolle, selten wurde der Stoff so charmant und mit soviel Sympathie für das Monster adaptiert.

Kiki hat mitreißende Ideen, ist schlau, etwas schräg, manchmal überschießend und ganz schön mutig. So eine Tochter lässt sich nicht mit vermeintlich harmlosen Lügen abspeisen, die in Wahrheit mehr ihrer immer noch ziemlich jungen Mutter helfen.
In 5 Dinge, die ich über meinen Vater weiß von Mariken Jongman krachen Mütter und Töchter mehrfach heftig aufeinander, denn auch Kikis Mama ist mit ihrer Mutter nicht im Reinen. Jahrelang schwelen Streitereien, wie sie wahrscheinlich nur zwischen starken Müttern und selbstbewussten Töchtern ausgetragen werden. Und immer wollen die Älteren nur das Beste für ihre Kinder. Aber die wollen und müssen das für sich selbst entdecken. Und so findet Kiki bei der Suche nach ihrem Vater auch ganz viele andere Dinge heraus – und schließlich ihre eigene, eigenartige, ebenso liebenswerte wie liebevolle Familie.

woltzDass man nicht selbst auf der Suche nach seinem Vater sein muss, um vieles über sich und die eigene Familie zu rauszufinden, erfährt Samuel, als er Tess begegnet. Im Roman Meine wunderbar seltsame Woche mit Tess von Anna Woltz trifft der grüblerische Zehnjährige, von seinem älteren Bruder gehässig „Professor“ genannt,  das nur ein Jahr ältere, aber gut einen Kopf größere Mädchen in den Ferien auf der niederländischen Insel Texel. Und kaum hat sie ein paar merkwürdige Fragen auf ihn abgefeuert, übt sie auch schon Walzer mit ihm – denn „der Rest meines Lebens hängt davon ab“, sagt Tess. Ihre burschikose, selbstbewusste Mutter meint zwar, auf Männer könne man gut verzichten, trotzdem hat Tess ihren Vater durch schlaue Recherchen ausfindig gemacht und nun auf die Insel gelockt, ohne ihm zu verraten, dass sie seine Tochter ist. Sie will ihn erst kennenlernen und dann entscheiden.

Samuel ist eigentlich zu verkopft für soviel Spontanität. Außerdem übt er gerade, sich gegen Gefühle abzuhärten, um nicht vom Kummer überwältigt zu werden, wenn jemand Geliebtes stirbt. Die Beerdigung des Vaters einer Klassenkameradin hat ihn dazu gebracht. Ganz anders Tess, die ein Feuerwerk unterschiedlichster Emotionen ist, für Samuel ebenso faszinierend wie rätselhaft. Sie konfrontiert ihn auch erstmals mit einem feministischen Dilemma: Zum Beispiel ist Tess überzeugt, dass Frauen sich zu oft entschuldigen, und lässt es folglich bleiben, obwohl ihr tollkühner Plan auch mal schiefgeht und sie Samuels Hilfe braucht.

Samuel ist ein exzellenter Beobachter, trotzdem kann er sich nicht auf alles einen Reim machen. Aber wer so tolle, treffende Begriffe wie Dünenkaninchen und Schienbeinmuskelkater in einem Zusammenhang verwendet, versteht und erlebt mehr als andere. Diese Ferienwoche ist spannend, abenteuerlich, verrückt, lustig, kurios und philosophisch. Regine Kehns mal prägnante, mal leicht versponnene Bilder untermalen das sehr schön. Seltsam? Vielleicht. Wunderbar? Definitiv! Wie Tess’ funkelnde Pünktchenaugen.

Elke von Berkholz

Mariken Jongman: 5 Dinge, die ich über meinen Vater weiß, Übersetzung: Birgit Erdmann, Carlsen, 2015, 252 Seiten, ab 14, 10,99 Euro

Anna Woltz: Meine wunderbar seltsame Woche mit Tess, Übersetzung: Andrea Kluitmann, Illustrationen: Regina Kehn, Carlsen, 2015, 176 Seiten, ab 10, 10,99 Euro

 

 

Iiiiiiehhh … ähhh … wie cool!

ekligOkay, reden wir Tacheles: Das Leben steckt voll richtig ekliger Dinge wie Körperausscheidungen aller Art, Kriech- und Krabbeltieren, Nagern, Abfall und Abgasen … und gleichzeitig sind diese auch überaus faszinierend, so dass man sich mit einem wohligen Schauer immer wieder mit ihnen befasst.
In dem Sachbuch Voll eklig! von Bärbel Oftring kann man nach Lust und Laune den ekligsten Substanzen und Getieren auf den Grund gehen. Wie entstehen Pickel? Warum mögen wir weder Zecken noch Kakerlaken? Warum ekeln wir uns vor Kot, Kotze, Blut, Urin, Ohrenschmalz und Popeln? Wie wurde in früheren Zeiten gekackt, als es noch keine Wasserklosetts gab? Antworten liefert Oftring in kurzen, aber sehr aufschlussreichen Texten, so dass der Ekelfaktor nicht überstrapaziert wird. Quizfragen und Forscheraufgaben reizen dann das eigene Wissen heraus oder machen dem Leser bewusst, wie er mit einem dieser Ekelthemen umgeht.

Ekel ist kein angeborener Instinkt, sondern von Eltern, Familie und der Gesellschaft, in der wir leben, anerzogen. Dabei hat die Gefühlsmischung aus Abneigung und Widerwillen durchaus einen Sinn, schützt sie uns doch vor Gefahren und Krankheiten. Allerdings können wir bei gewissen ekligen Dingen den Ekel auch wieder verlernen, zum Beispiel mit Hilfe von Oftrings „Nicht-mehr-ekeln-Tipps“.

Das Schöne an Bärbel Oftrings Buch ist, dass es ohne Tabus daherkommt, die Dinge klar beim Namen nennt, um die im normalen Leben meist verschämt herumgeredet wird. Die Fotos und Illus entsprechen dieser Offenheit, so dass man sich zwar manchmal überwinden muss, gleichzeitig aber auch seinem Voyeurismus ungehemmt freien Lauf lassen kann. Durch die vielen Mitmachelemente – man kann ankreuzen, ausfüllen, rätseln, am Ende eine persönliche Ekel-Hitparade aufstellen – führt sie fast nebenbei das wissenschaftliche Prinzip des Hinterfragens und genau Ansehens ein. Den Kindern macht sie so klar, dass das Ekeln durchaus okay ist, aber dass man auch unangenehme Dinge hinterfragen kann und sollte. Dass die Kids – und die erwachsenen Leser ebenso – ganz nebenbei dazu noch eine Menge über Hygiene, andere Kulturen, Geschichte, Biologie und das menschliche Leben lernen, ist da fast nebensächlich. Und nach der Lektüre kann es durchaus passieren, dass manches auf einmal gar nicht mehr so eklig ist …

Bärbel Oftring: Voll eklig! 55 eklige Dinge und was dahinter steckt, Haupt, 2014, 129 Seiten, ab 8, 19,90 Euro

[Jugendrezension] Voll normal

schrockeIn dem Buch Mein Leben und andere Katastrophen von Kathrin Schrocke geht es um die 13-jährige Barnie, mit richtigem Namen Bernadette, ein eigentlich ganz normales Mädchen, mit dem einen Unterschied, dass sie statt Vater und Mutter zwei Väter hat.

Wie ist das Leben wohl mit zwei Vätern? Im Grunde genommen passiert nichts Ungewöhnliches in ihrem Leben. Barnie ist ein klein wenig verliebt in Sergej, der sie allerdings nicht beachtet, die Schule ist wie immer langweilig und ein neues Handy bekommt sie leider auch nicht.
Doch an einem ganz gewöhnlichen Schultag kündigt ihre Lehrerin der Klasse ein besonderes Projekt an. Die ganze Klasse soll sich, aufgeteilt in zweier Gruppen, jeweils für zwei Wochen um eine Babypuppe kümmern.
Natürlich möchte Barnie dies gemeinsam mit ihrer besten Freundin machen, solange, bis Sergej plötzlich anbietet, die Vaterrolle zu übernehmen. Barnie’s beste Freundin ist total sauer auf Barnie, dennoch nimmt Barnie das Angebot von Sergej an.
Nun kommt Sergej jeden Tag zu Barnie nach Hause, doch bei einem seiner Besuche trifft er auf die beiden Väter. Was daraufhin Blödes passiert, das musst du nun selbst herausfinden…

Ich finde das Buch Mein Leben und andere Katastrophen lustig und spannend, außerdem gibt es ein vollkommen unerwartetes Ende.
Ich empfehle das Buch Mädchen im Alter zwischen 10 und 13 Jahren und hierbei besonders denjenigen, die gern einmal ausprobieren möchten, wie es wäre, ein kleines Baby zu haben…

Bücherwurm (13)

Kathrin Schrocke: Mein Leben und andere Katastrophen, FISCHER Sauerländer, 2015, 
192 Seiten, ab 12, 12,99 Euro

#AufDieStiefelTreten

naziDer NSU-Prozess in München verzeichnet bis jetzt bereits über 200 Verhandlungstage. Ich muss zugeben, dass ich dieses gerichtliche Trauerspiel nicht täglich mitverfolge und nur rudimentär über die bisherigen Erkenntnisse Bescheid weiß. Wären allerdings bahnbrechende Ergebnisse zu vermelden gewesen, hätte ich das sehr wohl mitbekommen. Es wird aber nichts vermeldet.
Wenn ich die Protokolle auf NSU-Watch nachlese, ist das eine eher mühsame Angelegenheit, was sowohl an den ausgesagten Erinnerungsfragmenten, als auch an der nicht besonders ausgefeilten Sprache der Protokolle liegt. Das ermüdet und bringt mich nicht wirklich weiter.

Weiter gebracht hingegen, was die möglichen Beweggründe des NSU und die Vorgänge in der rechten Szene angeht, hat mich die grafische Reportage Weisse Wölfe von David Schraven und Jan Feindt. In harten schwarzweißen Panels, denen oftmals stark gerasterte Fotos zugrunde liegen, erzählen die Autoren von der Recherche eines Journalisten in der rechten Szene. Er will ergründen, warum die Thüringer Terrorzelle gerade in Dortmund einen unschuldigen Türken ermordet hat. Er taucht tief in die Szene ein, redet mit einem rechten Aussteiger, der seinen Weg vom orientierungslosen Punk zum knallharten Skin erzählt, trifft einen Verfassungsschützer, der von ermittelten, aber der Öffentlichkeit unterschlagenen Erkenntnissen berichtet. Daneben zitieren Schraven und Feindt aus dem verbotenen rassistischen Roman „The Turner Dairies“ von 1978, der in der rechten Szene als Blaupause für den rassistischen Untergrundkampf gegen das System gehandelt wird.

Die Lektüre ist durchaus anstrengend, denn die vielen Infos fordern den Leser enorm und manches ist erzähltechnisch etwas verwirrend. Zudem macht der Lebensweg des Punks hin zum Skin ziemlich wütend und ratlos. Dennoch ist der Erkenntnisgewinn, wie die rechte Szene tickt, sich organisiert und sich finanziert, extrem wertvoll. Schravens Recherchen und Schlussfolgerungen erklären eindrücklich, dass die Neonazis sich inspiriert durch die Turner Dairies europaweit dem führerlosen Krieg gegen das System verschrieben haben – wovon der Verfassungsschutz und die Regierungen durchaus wissen, es aber gepflegt ignorieren und klein reden. Ernsthaft, man könnte kotzen, nachdem man Weisse Wölfe gelesen hat. Sowohl wegen des einen, als auch wegen des anderen.

Zum Glück lässt das Recherchebüro CORRECT!V, zu dem David Schraven gehört und in dem die Graphic Novel erschienen ist, einen nicht mit diesem Frust allein, sondern schlägt auf ihrer Website http://weisse-woelfe-comic.de/ fünf Maßnahmen vor, wie man gegen gewaltbereite Nazibanden antreten und ihre Organisation aushöhlen könnte. Zwar habe ich keinen Einfluss auf die Ausbildung in der Polizei und die Arbeit der Finanzämter, aber virtuell kann ich denen durchaus #AufDieStiefelTreten.
Damit dieses Wissen um Strukturen und Hintergründe möglichst viele erreicht, haben die Macher die Graphic Novel auf ihrer Website auch kostenlos ins Netz gestellt. Mögen viele dorthin surfen, aber mögen noch viel mehr diesen Comic kaufen, denn auch so ein Werk entsteht nicht aus dem Nichts …

David Schraven/Jan Feindt: Weisse Wölfe. Eine grafische Reportage über rechten Terror, Nachwort: Thomas Kuban und David Schraven, CORRECT!V,  2015, 225 Seiten, 15 Euro

Happy Birthday, Pippi Langstrumpf!

pippiIn diesen Tag jährt sich nach all den Kriegende-Rückblicken noch ein Jahrestag: Vor 70 Jahren erblickte Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf das Licht der Buchwelt.

Aus diesem Anlass zeigt Arte am 24. Mai 2015 den Dokumentarfilm Astrid Lindgren der Schwedin Kristina Lindström.
Im Film taucht man ein in die Welt von Astrid Lindgren, die am 14. November 1907  in der Nähe von Vimmerby geboren wurde. In historischen Filmaufnahmen sieht man den Viehmarkt von Vimmerby und leicht unscharfe Aufnahmen von Astrid Ericsson, so ihr Mädchenname, mit großen weißen Schleifen im Haar. Filmemacherin Lindström rollt das Leben der Schriftstellerin auf, die bereits als Kind zu schreiben begann und schon früh als die „Selma Lagerlöf von Vimmerby“ bezeichnet wurde. Lindgren ist rebellisch, lässt sich als erste im Dorf einen Bubikopf schneiden, liebt das Kino und den Jazz. Sie macht ein Zeitungsvolontariat und wird mit 18 schwanger. Es ist keine Liebe. Heimlich bringt sie ihren Sohn Lars in Kopenhagen zur Welt und gibt ihn zu einer Pflegemutter – was sie ihr Leben lang bereuen wird, wie dieser Film sehr eindrücklich zeigt. Drei Jahre später holt sie den Sohn nach Schweden, doch erst 1931, als sie Sture Lindgren heiratet, kann sie sich richtig um ihn kümmern und Mutter sein. Die Jahre der Trennung vom Sohn haben Astrid Lindgren tief geprägt.

pippiNeben den Daten zu Astrid Lindgrens Biographie offenbart der Film zudem die Einflüsse, künstlerischer und familiärer Art, die in die Bücher der Schriftstellerin eingeflossen sind.
Es gibt hinreißende Ausschnitte aus dem Stummfilm „Through the Back Door“ von 1921, in dem Mary Pickford anfangs eine aufmüpfige 10-Jährige spielt. Lindgren liebte scheinbar die Filme von Pickford. Man sieht hier quasi eine frühe Version von Pippi, die auf Schrubberbürsten den Fußboden putzt und ein Pferd am Schwanz zieht.
Auch wie Lindgren die politischen Entwicklungen während des zweiten Weltkriegs allegorisch verarbeitet, macht der Film deutlich.

Das Schreiben hat Astrid Lindgren über ihren Schmerz geholfen. Wenn sie schrieb, ging es ihr gut, wird berichtet. Dann tauchte sie wieder ein in eine glückliche Kindheit. Ihre eigene endete, als sie schwanger wurde. Sie entwickelte aus ihren bitteren Erfahrungen als ledige junge Mutter den Respekt für die Kindern, der aus ihren Geschichten strahlt, und für den wir sie so lieben. So berichtete Oetinger-Verlegerin Silke Weitendorf im Gespräch nach der Filmvorführung, dass Lindgren sie in persönlichen Begegnungen nie mit lästigen Erwachsenenbemerkungen genervt hat, sondern sie immer fragte: „Bist du ein glückliches Kind?“
Das Glück der Kinder lag Lindgren am Herzen. Den Erwachsenen hat sie es in ihrer Rede zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels 1978 noch einmal ganz deutlich und unmissverständlich gesagt: Niemals Gewalt gegen Kinder. Auch daran erinnert der Film.

Ursprünglich war dieser Film in der schwedischen Originalfassung drei Stunden lang. Für das deutsche Publikum wurde er auf 52 Minuten gekürzt – was ich sehr schade finde, den Astrid Lindgren ist so eine interessante Frau gewesen, dass man eigentlich nicht genug über sie erfahren kann …
Doch auch nach dieser kurzen Version ist man von Astrid Lindgren tief beeindruckt und liebt sie nun noch mehr. Ihre Bücher werde ich nun mit einem geweiteten Blick und diesem wichtigen Hintergrundwissen erneut lesen.

Astrid Lindgren. Ein Film von Kristina Lindström. Deutsche Fassung: Claudia Drexel, 2015, 52 Minuten. Zu sehen auf arte am 24.05.2015 um 22.15 h.

[Gastrezension] Buchstaben des Vergessens

perryPerry, die Protagonistin aus Kate de Goldis Roman Die Anarchie der Buchstaben, hat nicht nur ein exzentrisches Rhythmusgefühl. Perry ist eine brillante Beobachterin, stellt mit den richtigen Fragen die Dinge auf den Prüfstand und malt Bilder, die mehr erzählen als tausend Worte. Allerdings möchte ihre Mutter, eine Psychologin, das einzige Kind, am liebsten permanent beschäftigt wissen, um Perrys unkonventionelle Art im Zaum zu halten. Bis eines Tages der eng gestrickte Stundenplan eine Lücke bekommt – und Perry beschließt, jeden Donnerstag ihre Großmutter Honora Lee im Seniorenheim zu besuchen.
Die hat schon ziemlich viel vergessen, erkennt ihren Sohn, Perrys Vater, nicht mehr, und auch ihrer Enkelin mit dem Jungennamen begegnet sie fast jedes Mal neu. Um Konventionen schert sich die alte, agile Dame auch nicht mehr, plündert die Süßigkeitenschubladen und Kleiderschränke ihrer Mitbewohner und stößt mit ihrer sehr direkten, unverblümten Art andere häufig vor den Kopf. Früher war sie Lehrerin mit erfrischenden Unterrichtsmethoden und Inhalten, wie Perry bald herausfindet. Und so beginnt Perry für ihre Oma bei ihren Donnerstagsbesuchen ein ganz individuelles Alphabet zu malen.

Ein Ritual war schon einmal die Initialzündung für eine Geschichte der neuseeländischen Autorin Kate de Goldi, in ihrem gefeierten, herzergreifenden Roman Abends um 10, im Original The ten o’clock question. Damals ging der sensible, sorgenvolle Frankie jeden Abend vor dem Schlafengehen zu seiner Mutter, um von ihr zuverlässig Antworten auf seine Fragen zu erhalten. Und viel über seine ebenso schräge wie liebenswerte Familie zu erfahren.
Jetzt ist es Perry, die immer mehr über ihre Großmutter, die anderen Heimbewohner und die Betreuer, ihre Eltern, über Gedächtnis und Erinnerung herausfindet – über das Universum, das Leben und den ganzen Rest sozusagen. Dabei setzt die Neunjährige mit der orangen Brille Einiges in Bewegung: Sie kann ihren Vater mit seiner Mutter versöhnen, die er übrigens nie Mama, sondern immer nur Honora Lee genannt hat. Perrys Mutter wird gelassener und lernt ihre exzentrische Art zu schätzen.

Nebenbei wächst und gedeiht in verrückter Reihenfolge Honora Lees persönliches „ACB“. Zu lesen – und zu sehen auf den originellen Illustrationen Gregory O’Briens, die wie sehr dynamische Schaubilder wirken.
Die Anarchie der Buchstaben ist eines der charmantesten Bücher über Demenz und das Altern. Kongenial übersetzt von Ingo Herzke, der auch die zahlreichen Reime elegant ins Deutsche übertragen hat.

Der einzige Nachteil des ACB with Honora Lee (so der Originaltitel) ist, dass es so kurz ist, selbst für eine notorische Langsamleserin wie die Rezensentin. Aber das Alphabet hat nur mal nur 26 Buchstaben, egal wie anarchisch man diese durcheinander wirbelt. Trotzdem ist es immer wieder verblüffend, was man mit diesen wenigen kleinen Zeichen alles erzählen und erschaffen kann.

Elke von Berkholz

Kate de Goldi: Die Anarchie der Buchstaben, Illustrationen: Gregory O’Brien, Übersetzung: Ingo Herzke, Königskinder, 2014, 160 Seiten, ab 12, 13,90 Euro

Kreuz & quer durch Prag

pragGeschichten, in denen die Orte eine der Hauptrollen spielen, faszinieren mich irgendwie. Ganz besonders, wenn ich die Städte kenne. Ansatzweise kenne ich Prag – und war daher gespannt, was es mit der City-Crime-Reihe von Andreas Schlüter auf sich hat.

Dieses Mal hat Joanna, Finns Schwester, Karten für ein Popkonzert ihrer Lieblingsband in Prag gewonnen. Die Familie reist für ein Wochenende nach Tschechien und finden sich schon bald in dem Touristentrubel der Karlsbrücke wieder. Hochzeitspaare, Puppenspieler, Menschenmassen, kein Durchkommen. Während Joanna von einem gutaussehenden Marionettenspieler fasziniert ist, bemerkt Finn ein Ehepaar, das nach einem Portmonee sucht. Dabei vergessen sie eine Tüte mit einer Marionette auf der Brücke. Nun kommt eins zum anderen: Die Mutter verknackst sich den Fuß und muss zum Arzt, Joanna will Zeit mit dem Puppenspieler verbringen und Finn will die Marionette zurückgeben. Noch eher sie bis drei zählen können, stecken die Geschwister in einer verwickelten Drogen-Entführungs-Erpressungsgeschichte.

Schlüter gelingt hier das Kunststück, Krimi und Reiseführer in eins zu gießen. Die Helden erkunden nämlich die Stadt und kommen auf der Jagd nach den Bösewichten an den wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt vorbei. Die Infos über Prag werden dabei wie selbstverständlich in den Plot eingearbeitet – für junge Prag-Reisende ist das eine sehr unterhaltsame und aufschlussreiche Art, sich über die Stadt zu informieren.
Auch die tschechische Sprache kommt nicht zu kurz. Originalsätze der Einheimischen geben einen klanglichen Eindruck, die Übersetzung des Tschechischen findet sich am Ende des Buches in einem kleinen Wortschatz, der das wichtigste Vokabular für den Kurztripp liefert.

Wer also mit seinen Kindern eine Städtereise nach Prag plant, sollte den Kids diese spannende Reiselektüre mit auf den Weg geben. Sie werden die Stadt mit ganz anderen Augen sehen.

Andreas Schlüter: City Crime – Puppentanz in Prag, Illustration: Daniel Napp, Tulipan, 2015, 192 Seiten, ab 10, 11,95 Euro